Zwischenspiel. Arthur Schnitzler.
Schauspiel.
Peter Wittenberg. Theater in der Josefstadt, Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. Februar 2020.
Die Ausnahme bildeten die Auftritte der Virtuosen. Wenn sie eine bekannte Rolle spielten oder als Gast (a.G.) in eine bestehende Inszenierung eingebaut wurden, konnte die Kritik darauf verzichten, das Stück zu besprechen. Die Rezension befasste sich dann nur mit der schauspielerischen Leistung.
Sonst aber bildete das Stück den Hauptteil der Besprechungen, und als Literaturkenner konzentrierten sich die Kritiker – wie in den heute weitgehend ausgestorbenen Buchrezensionen – auf Würdigung und Einordnung der schriftstellerischen Produkte. Die Leistungen der Schauspieler waren Nebensache. Für sie genügten wenige Adjektive. In seiner "Hamburgischen Dramaturgie" schrieb Lessing zum Beispiel bloss: "Hr. [Herr] Ekhof spielt den Patelin ganz vortrefflich."
Die Regie war vollends kein Thema. Konnte es auch nicht sein. Bis in die 1940er Jahre genügten am Schauspielhaus Zürich – wie an den meisten andern Bühnen – fünf Tage Probenzeit, um eine Premiere herauszubringen.
So verhielten sich die Dinge, als Arthur Schnitzlers "Zwischenspiel" 1905 am Burgtheater zur Uraufführung kam. Die Stück war und blieb, bezogen auf die anderen Werke des Meisters, ein Intermezzo. Dem "Zwischenspiel" vorangegangen waren "Liebelei", "Reigen" und "Der einsamen Weg"; danach folgten "Das weite Land" und "Professor Bernhardi". Zusammengezählt also fünf Titel, die sich bis heute in den Spielplänen gehalten haben. Das soll mal einer nachmachen.
Beim "Zwischenspiel" indes hat Schnitzler die Finessen des Dialogs so hochgeschraubt, dass die Spitze abgebrochen ist. Hätte er nur auf seine Intuition gehört! Unter dem Datum des 13. Januar 1905 vermerkte er in seinem Tagebuch: "Das Stück der Olga vorgelesen. – Der 1. Akt wirkte noch am besten; dann wurde es wirr. – Eine ganz misslungene Sache ..." Heute erklärt Volkes Stimme (Wikipedia): "Der Zuschauer kann das Gemeinte aus dem Gesagten nur mit Mühe extrahieren."
Das Milieu ist vollkommen antiquiert: Hofopernsängerin, Kapellmeister, Komponist von Opern und Sinfonien, Dichter und Librettist, Graf und Gräfin ... nicht gerade Leute, denen wir im 21. Jahrhunderts noch über den Weg laufen. Im Unterschied zu Proust, der solche Figuren in der "Recherche" dergestalt zu beschreiben verstand, dass sie bis in alle Zeiten hinein lebendig wurden, haben sie bei Schnitzler nur einen Titel, beziehungsweise Beruf, nicht aber einen Charakter, nicht eine Persönlichkeit, nicht eine Seele. Darum bleiben sie bis in alle Zeiten hinein fad und uninteressant.
Überholt ist auch das Thema: eheliche Treue! Am Tag der Aufführung des "Zwischenspiels" in der Josefstadt schrieb die "Süddeutsche Zeitung" unter dem Titel: "Na und?": "Die meisten Pariser sind nicht überrascht, dass der Bürgermeisterkandidat fremdgeht". Und sie zitiert die amtierende Bürgermeisterin: " 'Paris ist die Stadt der Trennungen', sagt Hidalgo. Jede zweite Ehe werde geschieden, Eltern brauchten meist nicht eine, sondern zwei Wohnungen, um ihre Kinder im Wechsel bei Papa und Mama grosszuziehen. Das sei eine zusätzliche Herausforderung für den Immobilienmarkt, der ja ohnehin dringend eine 'dédensification' brauche - wörtlich eine Ent-Engung."
In dieser Lage auf der Bühne eine ganzen Akt lang Duellforderungen zwischen Graf und Kapellmeister verhandeln zu lassen, ist an der Donau so wenig nachvollziehbar wie an der Seine. Was kann man da machen? Regisseur Peter Wittenberg beschränkt sich klugerweise darauf, die Schauspieler zu anständigem Spiel anzuhalten. Und das tun sie auch untadelig. Um Vorzüglichkeit zu erreichen, brauchten sie aber einen andern Stoff.
Wäre das Theater in der Josefstadt ein Museum, müsste man ihm raten: "Lassen Sie das Stück im Depot! Wenn's hoch kommt, wird es vielleicht einmal ein*e Doktorand*in in eine Fussnote in seiner*ihrer Gender-Thesis einbauen. Und wenn nicht, wird der Welt auch nichts fehlen."
Untadelig sind ...
... die Schauspieler.