Schon Freud fragte: Was will das Weib? © Hoppe.

 

 

 

Heisenberg. Simon Stephens.

Schauspiel.          

Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. Februar 2020.

 

 

Es ist das alte Thema: "Boy meets girl." Immer interessant. Auch wenn man den Plot schon tausendmal gesehen hat. Doch halt: So, wie das Burgtheater ihn erzählt, ist man ihm noch nie begegnet. Da liegt die Faszination des Abends. Und zwar von der ersten Minute an. Mein Gott, es treten zwei Schauspieler auf (Caroline Peters und Burghart Klaussner) – und durch die Konstellation, die sie, man weiss nicht wie, gleich herzustellen oder darzustellen vermögen, ist man gepackt, noch bevor man weiss, worum es eigentlich geht und was für eine Geschichte sich anspinnen wird.

 

Aber eben, der "Boy" ist 75. Er hat eine Glatze. Bauch. Das grämliche Gesicht eines verbitterten Alten. Damit erkennt man ihn eigentlich nicht als zart Liebenden, und noch weniger als Objekt der Sympathie. Die Tatsache, dass ihm eine jüngere, blonde Frau (42 laut Stück) nachläuft, weckt anfänglich Befremden, dann Neugier, und schliesslich Misstrauen. Dem Alten geht es nicht anders. Doch am Ende wird er, wie die Frau (und auch die Zuschauer), fortgerissen von einer Energie, die sich niemand anderem als dem blinden Gott zuschreiben lässt. Amor öffnet den Menschen die Augen, und dann sehen sie den Kern, nicht die Schale.

 

Wie es dem Alten ergeht, geht es uns. Zuerst denken wir: Die Frau spinnt. Gewiss hat sie ein Problem. Doch dann beginnen wir uns, angestachelt von der Insistenz der Frau, zu fragen: Was findet sie an ihm? Und entdecken mit einem Mal die Würde und Schönheit einer schlichten Existenz (Gustave Flaubert: "Un Coeur simple"). Damit erweist sich die Boulevardkomödie des 49jährigen englischen Dramatikers Simon Stephens als Erkenntnisprozess – und gleichzeitig als heiteres Seitenstück zu Adalbert Stifters Meistererzählung "Kalkstein". Der alte Metzger im Stück ist ein Bruder des armen Pfarrers im Kar. Beide haben in einem "Schreine", das heisst: in der Seele, Wäsche "von ausserordentlicher Schönheit, Feinheit und Weisse". Und die Frau auch.

 

Während der rätselhafte Wirbel (Heisenberg taucht als Chiffre auf) schon alle Beteiligten erfasst hat – die beiden Figuren auf der Bühne und die Zuschauer im Saal –, schiebt sich die Frage, die Freud dem "Realitätsprinzip" zuschrieb, immer unabweisbarer nach vorn: Wie weit soll man sich auf das Spiel einlassen? Hat es überhaupt eine Zukunft? Skepsis hängt im Raum. Doch die Frau verscheucht sie mit der einfachen Frage (und da liegt Simon Stephens genialer Dreh): "Wie oft wirst du noch jemandem zum ersten Mal die Hand halten?" Und sie fragt weiter: "Wirst du mit mir ..." Und: "Wirst du mit mir ..." Und: "Wirst du mit mir auch ..."? Und er antwortet: "Ja." Und: "Ja." Und abermals: "Ja." Damit ist der Gipfel erreicht. "Mehr will ich nicht", sagt die Frau. Das Stück ist aus. "Bravo!", ruft der Kritiker aus Bümpliz und entschuldigt sich beim Hinausgehen beim Sitznachbarn. Doch der wehrt ab: "Ihr Bravo war vollkommen angemessen!"

 

Was ist passiert? Jemand besucht das Burgtheater im ersten Jahr der vielberedten Direktion Kušej und bekommt durch "Heisenberg" ein Gefühl zurück, das dem aktuellen Sprechtheater seit Jahrzehnten abhanden gekommen ist: Freude. Welch ein Geschenk! Es zeigt an, wie arm wir in letzter Zeit waren.

Es ist die alte Geschichte: Boy meets girl. 

 
 
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