Schaufenster? Oder Raubtierkäfig? © Björn Klein.

 

 

 

Wolken.Heim. Elfriede Jelinek.

Schauspiel.                  

Friederike Heller, Sabine Kohlstedt. Schauspiel Stuttgart

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 18. Januar 2020.

 

 

Theorie: Elfriede Jelinek erstellt 1988 eine Textcollage mit Zitaten von Hölderlin, Hegel, Fichte, Kleist, Heidegger, der RAF (Rote Armee Fraktion). Sie gibt ihr den Namen "Wolken.Heim." Gemeint ist das hässliche nationalistische Deutschland. Das "Wir gegen die andern" kam auf zur Zeit der napoleonischen Besetzung am Anfang des 19. Jahrhunderts. Während die jungen Männer ins französische Heer gesteckt wurden und am Feldzug gegen Russland mitmachen mussten, suchten die Dichter Enthusiasmus für die Freiheit und die eigene Sache, sprich: Deutschland zu wecken durch Berufung auf das gemeinsame Blut und den gemeinsamen Boden. Die Propaganda, die damals entstand, war furchtbar (wenngleich nicht furchtbarer als die Propaganda der französischen Revolution). Aber am Ende brauchte der "Führer" nichts mehr zu erfinden; er brauchte sich nur zu bedienen. Alle Bilder und Phrasen waren schon hundert Jahre vor seinem Erscheinen geprägt worden von den Dichtern und Denkern. "Blubo" (Blut und Boden) war nämlich ein Kind der deutschen Romantik, emporgestiegen aus dem Wellenspiel von Vater Rhein und dem Rauschen der Eichenwälder.

 

Praxis: Friederike Heller setzt am Stuttgarter Schauspiel "Wolken.Heim." unter Verwendung des Epilogs "Und dann nach Hause" in Szene. Der Text wird aufgeteilt auf vier Schauspielerinnen. Wie Raubtiere oder Schaufensterpuppen stecken drei von ihnen in Kuben, die ihr Habitat auf nackter Erde nachbilden: eine Küche von 1938, eine Bude von 1968 und ein Zimmer von 1998. Die vierte als freischwebendes – vielleicht auch verbindendes? – Element bewegt sich davor, darüber, dahinter, dazwischen (Bühne: Sabine Kohlstedt). Man könnte Jelineks Vorlage auch vorlesen; denn in Wirklichkeit handelt es sich bei "Wolken.Heim." nicht um ein Stück, sondern bloss um einen "monolithischen Redestrom" (Programmheft).

 

Nun aber wird das Auge genährt durch Bilder, Kostüme und Bewegungen. Spiegelfolien bilden den Zuschauerraum ab und machen deutlich, dass es auf der Bühne um die Deutschen geht, repräsentiert durch die Stuttgarter, die dasitzen und gucken und sich im Spiegel selber erkennen. Was dem Auge geboten wird, wird indes dem Ohr entzogen. Drei der vier Schauspielerinnen sagen "interni" statt "Finsternis", "brut" statt "Brust", "hau" statt "Haus" und "rau" statt "raus". Es sind die drei jungen. Die ältere hat noch sprechen gelernt.

 

Fazit: Das Publikum klatscht, auch wenn es nichts versteht. Aber die Sache ist ernst. Es geht um die Kritik am falschen Bewusstsein. Um Integration statt Ausgrenzung. Wer diese Werte teilt, gehört zur Elite, die das Herz am rechten Fleck hat. Und dafür muss man mit Applaus einstehen. Im Stuttgarter Kammertheater tun das hundert freundliche, alte, weisse Menschen. Die andern bleiben draussen. In der Nacht vom 13. auf den 14. Januar schlafen fünf Schwarze beim Kunstmuseum in der Unterführung. Dort ist ihr Platz.

 

"Wolken.Heim." Theorie und Praxis.

Es geht um die Deutschen. 

 
 
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