Surrealistischer Humor. © Anja Köhler.

 

 

 

Vevi. Bérénice Hebenstreit, Michael Isenberg.

Schauspiel nach dem Roman von Erica Lillegg.                  

Bérénice Hebenstreit, Mira König. Vorarlberger Landestheater.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 18. Januar 2020.

 

 

Der Abonnent in der Mitte von Reihe 6 sass die Vorstellung mit verschränkten Armen ab, ohne eine Regung zu zeigen. Umso eifriger kramte die Abonnentin in der Mitte von Reihe 7 in ihrer Handtasche, um verschiedene Pfefferminzpastillen hervorzusuchen und knisternd auszupacken. Beide gehörten zur Sorte Erwachsener, vor denen im Stück die kleine Vevi (eigentlich Genoveva) davonläuft: Sie sind zu trocken, zu ernsthaft, zu langweilig. Es fehlt ihnen an Einbildungskraft, Aufschwung und Spielfreude. – Anders die jungen Zuschauer: Mit ihren schnellen Reaktionen verraten sie Beteiligung. Bei der Szene, wo es ums Erhaschen von Vevis Doppelgängerin geht, quäken sie vor Vergnügen.

 

Wer sich von der Aufführung mitnehmen lässt, entdeckt ein Märchen von wahrer, das heisst: rührend menschlicher Poesie. Der biografische Aufsatz, den das Programmheft zitiert, trägt den Titel: "Erica Lillegg – Pionierin einer früheren Modernität in der österreichischen Kinderliteratur". Und die drei folgenden Seiten überschreibt ein Germanist mit: "Szenen einer Wiederentdeckung".

 

Im Roman "Vevi" aus dem Jahr 1955 evoziert Erica Lillegg mit ungewöhnlich sicherer Hand das unterschiedliche Schwergewicht der Seelenkräfte. Nicht erstaunlich, pflegte sie mit Paul Celan eine jahrelange, brieflich belegte Freundschaft. Der Humor aber, der "Vevi" durchzieht, stammt direkt aus dem französischen Surrealismus. Erica Lillegg lernte ihn vor dem Zweiten Weltkrieg kennen und übertrug ihn ins Deutsche. Zur selben Zeit wurde das bildnerische Werk ihres Mannes Edgar Jené (geistiger Vater der Wiener Schule des Phantastischen Realismus) als "entartet" verfemt.

 

Die ganze Vielschichtigkeit kann man in der ungewöhnlich sicheren Bühnenfassung wahrnehmen, welche die Regisseurin Bérénice Hebenstreit zusammen mit Michael Isenberg vorgenommen hat. Im Vertrauen auf die Wirkung von Zeichen, Figuren und Beziehungen erzählt sie mit augenzwinkernder Lakonie die Geschichte in ruhigem, mit schönen Pausen durchsetztem Tempo. Und siehe: Das Ganze trägt. Das ist vielleicht das Wunderlichste an diesem versponnenen Abend.

 

So prägt eine rätselhafte, jenseitige Stille die Inszenierung auch dann, wenn die Schauspieler approximativ wirken und die Musik zu laut ist. (Sie ist, leider, oft zu laut.) Spürbar aber ist der geheimnisvolle Moment der Atemwende gleichwohl; in Bregenz ganze fünfundachtzig Minuten lang. Celan hätte während dieser Zeit nicht eine Sekunde an Pfefferminzpastillen gedacht.

Vergnügliche Lakonie ... 

... im Vertrauen ... 

... auf die Figuren. 

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