FIFA – Glaube, Liebe, Korruption. Christoph Frick und Ensemble.
Projekt.
Christoph Frick. Konzert Theater Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. Dezember 2019.
In beiden geht es um Handlung und Emotion. Beim Theater kommt noch Geist dazu. Die Fussballfans behaupten zwar, der finde sich in ihrem Sport auch, aber das ist von aussen her gesehen nicht nachvollziehbar. Wie auch immer. Das Berner Schauspiel hat nun die beiden Primadonnen Fussball und Theater zwischen den Bushaltestellen Hardegg Vidmar und Hessstrasse in einen Raum zusammengebracht und geglaubt oder gehofft oder gemeint, dadurch das zweite Wunder von Bern zeugen zu können.
Doch herausgekommen ist weniger als nichts. Theater und Fussball sind stärker, wenn sie getrennte Wege gehen. Wollte man die beiden dennnoch auf einer Bühne zusammenbringen, müsste man einen Dichter wie Schiller haben. Aber der ist schon 1805 gestorben. In seiner "Wallenstein"-Trilogie hat er gezeigt, wie man einen grossen Gegenstand in die Hand bekommt. Und es geht da ja immerhin um das europaweite Geschehen des dreissigjährigen Kriegs. (Er dauerte von 1618 bis 1648.)
Schiller bewältigt die Aufgabe durch Kondensation: Kondensation auf eine Figur, einen Gedanken, einen Verlauf. Kondensation ist ein Kraftakt. Er erfordert Genie. In Bern fehlt es. Christoph Frick ist nicht Dichter, nur Regisseur. Wenn er gleichwohl ein "Projekt" unter dem Namen "FIFA – Glaube, Liebe, Korruption" mit dem Ensemble zusammen "entwickelt", entsteht durch die Vielzahl der Mitspieler und Aspekte nicht Stärke, sondern Beliebigkeit.
Zehn Ensemblemitglieder stehen auf der Bühne, und jedes darf seine Nummer haben. Bestimmt haben sich alle gefreut, ihren Soloauftritt hinzulegen. Sie haben geübt, sie haben recherchiert, sie haben gestaltet. Doch zehn Rosinen ergeben keinen Kuchen. Und zehn Soloauftritte ergeben bloss ein Nummernvarieté, nicht eine Aufführung.
Nun könnte man sagen: Fussball ist ein Universum! Darum zeigen wir den Kosmos in seiner ganzen Vielfalt. Aber Achtung: Der dreissigjährige Krieg war das auch. Es gab Menschen, in deren Leben es nie Frieden gegeben hatte, weil sie nach Ausbruch des Kriegs zur Welt kamen und vor seinem Ende starben.
Schiller war klar: "Ich muss dieses Ganze zeigen! Ich muss ein Vorspiel schreiben, das darstellt, auf welcher Basis die Geschichte abrollt." Und mit "Wallensteins Lager" schuf er das erste theatralische Wimmelbild. Dort haben alle ihren Auftritt, die der Krieg braucht und verschlingt: Wachtmeister, Trompeter, Scharfschützen, Dragoner, Arkebusiere, Kürassiere, Kroaten, Ulanen, ein Rekrut, ein Bürger, ein Bauer, ein Knabe, ein Kapuziner, ein Soldatenschulmeister, eine Marketenderin, eine Aufwärterin, Soldatenjungen und Hoboisten.
Das FIFA-Stück kann nicht mehr Aspekte und Rollen bringen als "Wallensteins Lager". (Tut es auch nicht.) Aber es verzichtet darauf, die beiden Einheiten zu verwenden, mit denen Schiller das Chaos organisiert hat: Einheit des Orts und Einheit der Zeit. Durch sie staffelte der Dichter die Auftritte, und durch sie schuf er Orientierung.
In Bern quirlen aber Regisseur und Ensemble die Chronologie durcheinander. Sie unterscheiden nicht zwischen Früherem und Späterem. Und statt Einheit des Orts anzustreben, zappen sie über den ganzen Globus. Richtschnur ist dabei nicht die Verständlichkeit, sondern die Buntheit der Oberfläche. Darum wechseln Reportage und Karikatur, Dokumentation und Polemik, Einzelszenen und Ensembleszenen, Frauennummern und Männernummern miteinander ab, ohne dass das Ganze auf etwas hinausliefe.
Das war bei Schiller anders. Das dritte Stück der Trilogie, "Wallensteins Tod", endet im zwölften Auftritt des fünften Aufzugs mit den Linien: "Octavio erschrickt und blickt schmerzvoll zum Himmel. Der Vorhang fällt." In Bern endet die Aufführung nicht mit einer solchen Pointe. Die Spieler verlassen lediglich die Bühne, und das Licht geht aus. Von einem Bogen kann da niemand sprechen. Auch nicht von punktgenauer Landung. – Merke: Ein "Projekt" ist noch lange kein Stück, und das Kollektiv ersetzt den Dichter nicht.
Emotion.
Handlung.
Aber kein Zentrum.