Histoires. Coralie Lascoux, Emilie Pfeffer.
Improvisation.
Théâtre Le Bout, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 24. November 2019.
Diese Kritik gilt unter zwei Vorbehalten: 1. Der Veranstalter und die Mitspieler haben nicht gelogen. 2. Das Ganze läuft jedes Mal so rund wie am Samstag, den 23. November 2019.
Am genannten Samstag fanden um 21:45 Uhr zwölf Personen den Weg ins Théâtre le Bout, einer Flohbühne unweit der Place Pigalle in Paris. Der Mann, der die Tickets ausgab, fungierte auch als Platzanweiser, Beleuchter und Tonmeister. Manchmal hörte man ihn in seiner Kabine auflachen. Ein starkes Indiz, dass Veranstalter und Mitspieler nicht gelogen haben (1).
Behauptet wurde nämlich, der Abend sei vollkommen improvisiert. Und danach sah es ja auch aus: Das Thema wurde aus einem Hut gezogen, in den die Zuschauer ihre Vorschläge hatten legen können. Aber war da kein Trick dabei? War die Geschichte wirklich spontan erfunden?
Für die Glaubwürdigkeit der Behauptung gibt es ein paar weitere Indizien: Das Publikum konnte Bedingungen stellen (2). Am 23. November wünschte es sich – notabene ohne Vorgabe der Auswahl – die erste Viertelstunde im Stil der Music-Hall, die zweite im Stil der Tragödie und die dritte im Stil des Horrorfilms. Dann entschied es, dass die Geschichte glücklich ausgehen solle. Die Aktricen erfüllten die Aufgabe bravourös. Zwar mussten sie das eine oder andere Mal das Lachen verbeissen, doch sind diese Momente, in denen sie fast aus der Rolle gefallen wären, als Indiz für die Echtheit der Improvisation zu werten (3).
Schliesslich sagten sie (4), man solle wiederkommen. Man werde dann sehen, dass jeden Samstag etwas anderes erzählt werde. Mit einer anderen Mitspielerin. Für Emilie Pfeffer, eine Kindertheaterfrau, war es eine Premiere. Das war wohl kaum gelogen, obwohl es zum Zeitpunkt der Abfassung der Kritik nicht nachzuprüfen war. Coralie Lascoux, die Gastgeberin, soll hingegen jedes Mal auf der Bühne stehen.
Unter dem Vorbehalt, dass nicht gelogen wurde, bot der 23. November einen hochkarätigen Theaterabend. Er zeichnete sich aus durch vergnügliche Zitate, kecke Anspielungen und unvorhersehbare Pointen. Zwar könnte man sich in der Gestaltung mehr Charge vorstellen, anderseits spricht der zurückhaltende Anstand der beiden Frauen für die Behauptung der Improvisation (5). Die Etappen des Parcours wurden sekundengenau eingehalten; darüber wachte der Mann von der Technik, und die Zuschauer sahen an der Bühnenwand den Timer rückwärts laufen. Nach genau 55 Minuten kam es zum Happy End. Die Improvisatorinnen waren sichtlich stolz auf die Punktlandung. Ein Indiz mehr für die Aufrichtigkeit der Beteiligten (6).
Die Geschichte, die am 23. November gespielt wurde, trug den Titel: "Un Polichinelle dans le tiroir" (Schwanger). Sie entwickelte sich so folgerichtig und mehrbödig, dass der Kunstrichter aus Bümpliz bis zum Schluss Mühe hatte, an durchgängige Improvisation zu glauben. Er behält sich deshalb das endgültige Urteil vor bis zum nächsten Besuch des Théâtre le Bout im März 2020. Läuft der Abend wieder so rund, wird ein doppelter Gewinn abfallen: Beseitigung der Zweifel und unwiederholbares Theatervergnügen. Zur Begutachtung wird der Kritiker drei Experten für Lüge und Wahrheit mitbringen, hochkompetente Männer aus der Kommunikationsbranche und starke Jasser – vor allem der Herr Regierungssprecher.
Wie auch immer das endgültige Urteil herauskommen wird, fest steht jetzt schon, dass die vorgeblich improvisierten "Histoires" Theater bleiben werden. Denn Theater heisst: So tun, als ob. Dagegen gibt es keine Appellation.