Cengalo, der Gletscherfloh. Franz Hohler.
Kinderstück.
Meret Matter, Sara Giancane. Konzert Theater Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 16. November 2019.
"Cengalo, der Gletscherfloh" – ein mehrdeutiger Titel. Sein Inhalt verändert sich, je nachdem, ob man "der Gletscherfloh" auf der zweiten oder auf der vierten Silbe betont. Der Pressebereich definiert die Produktion als "Märchen von Franz Hohler für Kinder ab sechs Jahren". Und auf dem Spielplan steht "Kinderstück". Damit richtet das Berner Schauspiel einiges an. Je nach politischer Couleur werden die Eltern entscheiden: "Kinder, da dürft ihr nicht hin!" oder: "Kinder, da müsst ihr hin!" Denn Thema des Weihnachtsstücks ist der Klimawandel.
Nach der Aufführung werden die links-grünen Eltern zu den Kindern sagen: "Seht ihr! Darum haben wir kein Auto!" Und die bürgerlichen Kinder werden die Eltern fragen: "Warum sagt Tante Esther, sie müsse nach Island fliegen, um das Nordlicht zu sehen?" Der Gletscher, in dem Cengalo mit seiner Familie lebt, schmilzt während der Vorstellung um die Hälfte. Schon kommen geflohene Flöhe aus dem Pazifik und bitten um Asyl. Ihre Insel ist untergegangen. Fidschi futschi.
Mit der sicheren Hand des Geschichtenerzählers gestaltet Franz Hohler die Situation. Der Floh-Vater ist Hausmann und Musiker: "Was soll ich heute kochen? Was hat's gestern gegeben? Schnee. Und vorgestern? Auch Schnee. Also koche ich heute Schnee." Die Floh-Kinder sind enttäuscht: "Schon wieder Schnee!" Aber dafür gibt's gute Gletschermilch. Die Mutter findet zwar, sie schmecke nach Aluminium. Doch was will man, wenn alles schmilzt? "Wir können nichts machen", sagen die Floh-Eltern. "Der Mensch ist schuld!" Mit der sicheren Hand des Kabarettisten nimmt Franz Hohler die Mentalitäten aufs Korn, die den Ausweg aus der Klimakrise verrammeln.
Ob die märchenhafte Verschwörung der Floh-Kinder zur Erlösung führt? Um die Menschen zur Räson zu bringen, bitten sie die Lawine, ins Tal zu donnern. Doch deren Macht ist im Abnehmen: "Die Winter werden immer wärmer." Der Bergsturz jedoch, der kann helfen. Am Ende des Stücks fährt er nieder. Damit hat die Natur getan, was sie konnte. Die Frage ist, ob die Menschen die Zeichen wahrnehmen. Und ob sie bereit sind, ihr Handeln zu ändern.
Franz Hohler ja, der hat zeitlebens getan, was er konnte. Das macht ihn glaubwürdig. Aber wir?! Was werden wir antworten, wenn uns Kinder und Grosskinder mit der gleichen Frage plagen werden wie die Kinder und Grosskinder ihre Nazi-Verwandten: "Du hast es doch gewusst! Warum hast du mitgemacht?"
So brennend indes das Anliegen ist – das Berner Stadttheater ist ihm nicht gewachsen. Seine Verstärker-Anlage versagt. Immer wieder fällt an der Premiere der Ton aus. Und wenn er da ist, ist er zu laut. Schlecht abgemischt obendrein. "Viele bräuchten sie, wenige tragen sie und viele nicht gerne", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" am 6. November über die Hörgeräte. Da liegt die Krux. Auch für die Erwachsenen, die am Theater arbeiten.
Aber die Kinder! Die haben doch so feine Ohren, dass sie die Flöhe husten hören. Für sie hätte es die Kopfmikrofone und die schmerzhafte Verstärkung des Schalls nicht gebraucht. Nun aber sucht die akustische Umweltverschmutzung den Theaterraum am Kornhausplatz heim. Ein Generationenproblem – auch hier.
So antwortet das Berner Schauspiel mit einer schwachen Performance auf ein starkes Stück. Es ist nicht zu entscheiden, woran es mangelt: am Geld, am Metier oder am Talent. Vielleicht an allem. Jedenfalls gehen Inszenierung (Meret Matter) und Bühnenbild (Sara Giancane) uninspiriert mit Raum, Licht und Spielern um. Es macht wenig Sinn, die Minusposten durchzurechnen. Das Fazit ist klar: Auf der Welt war früher manches besser. Sogar das Kindermärchen.
Der Hausmann und Künstler.
Die geflohenen Flöhe.
Die Lawine.