Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär. Ferdinand Raimund.
Romantisches Original-Zaubermärchen mit Gesang.
Josef E. Köpplinger, Walter Vogelweider. Theater in der Josefstadt, Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2019.
Nach all den Projekten, Ur-und Erstaufführungen möchte man sich zu Boden werfen: "Ferdinand, vergib! Wir haben uns überschätzt!" Der Maler Oskar Kokoschka, der selber ein paar ansehnliche, aber nicht mehr gespielte Stücke geschrieben hat, stellte 1971 in seiner Autobiographie fest: "Solches Theater schrieb noch Shakespeare, doch niemand mehr nach Raimund und Nestroy." Und Hugo von Hofmannsthal, Verfasser zweier delikater Komödien, die heute unspielbar geworden sind, weil kein Theater mehr imstande ist, die austriakische Essenz herzustellen, die sie zum Leben brauchen, schrieb: "Ferdinand Raimund. Was ist diese Figur? Er ist kein Literat, niemand je war es so wenig. Er ist ein Dichter; er glaubt, es zu sein, und weiss doch auch wieder nicht, wie sehr er es ist."
Dieses Raimundsche Unbewusste zwingt uns heute in die Knie. In ihm liegt, so scheint es, das Signum des Genies, und nicht in den Lehrplänen der staatlichen Literaturinstitute mit ihren akademischen "Abschlüssen" Bachelor und Master of Arts. So leicht nämlich, wie es sich die Bologna-Designer vorstellten, verläuft die Karriere eines Dichters nicht. "Durch die fortwährend geistige und physische Anstrengung und Kränkungen im Leben", schrieb Ferdinand Raimund in seiner Selbstbiografie, "verfiel ich im Jahre 1824 [im Alter von 34 Jahren] in eine bedeutende Nervenkrankheit, welche mich der Auszehrung nahebrachte und fünf Monate von der Bühne entfernt hielt. Ich wurde durch homöopathische Kurart ganz hergestellt, und danke diese Rettung meinem Freund, dem Doktor Lichtenfels."
Als das romantische Original-Zaubermärchen am 10. November 1826 mit einjähriger, krankheitsbedingter Verspätung im Theater in der Leopoldstadt herauskam, hatte "Der Bauer als Millionär" so viel Erfolg, dass "mich meine Neider", wie Raimund schreibt, "gar nicht als den Verfasser wollten gelten lassen". Auch die Melodie zum unsterblichen Lied "Brüderlein fein" wurde dem Komponisten der Bühnenmusik Joseph Drechsler zugeschrieben, obwohl der es in Wirklichkeit nur orchestriert hatte. Der Komödiendichter aber setzte dem Leben mit einer Kugel acht Jahre später ein Ende.
Das Theater in der Josefstadt ist heute noch imstande, Fortunatus Wurzel, den Bauern, deckend zu besetzen. Das ist mehr als die halbe Miete. Sobald Michael Dangl auftritt, kommt eine Kraft auf die Bühne, und hinter dieser Kraft die Ahnenreihe der grossen Wiener Volkskomiker. Sie, die Gestorbenen, nähren Stil, Sprache und Gebaren des aktuellen Darstellers. Seine Kunst erinnert mithin an Friedrich Torbergs Anekdote von jenem amerikanischen Ehepaar, das von den Salzburger Nockerln derart begeistert war, dass es sich vom Wirt das Rezept diktieren liess. Die Anleitung klingt unglaublich einfach. Das Paar schüttelt den Kopf: "Fehlt da wirklich nichts?" "Nein", erwidert der Wirt, "das ist alles". Doch nachdem er gegangen ist, beugt sich ein Gast vom Nebentisch hinüber und raunt: "Er hat Ihnen nicht alles gesagt. Dem Rezept fehlt die Hauptsache." "Wir haben es vermutet. Was denn?" "Achthundert Jahre Habsburg."
An der Donau gehört es beim "Mädchen aus der Feenwelt" zur Tradition, dass die Rolle des "hohen Alters" mit einem Achtzigjährigen besetzt wird. Diesmal ist es der ehemalige Burgschauspieler Wolfgang Hübsch. Sein Auftritt lässt das Publikum erstarren. Ein Hauch von Zeit und Vergänglichkeit weht durch den Raum. Die älteren Wiener erinnern sich an Hübschs Debüts, wo er noch mit Heinz Moog, Judith Holzmeister und Norbert Kappen auf der Bühne stand. Sie sind alle nicht mehr. Damals, als Dieter Dorns unübertreffliche Inszenierung der "Kleinbürger" auf der Bühne des Akademietheaters lief, versah drüben im Haus am Ring Attila Hörbiger die Rolle des Winters in Raimunds "Der Diamant des Geisterkönigs". Das war vor vierzig Jahren. "Und jetzt, leben Sie wohl! / Ich hab’ mein' Post ausgerichtet."
Mit dem Feenwesen kommt das heutige Theater nicht mehr zurande, auch nicht Josef E. Köpplinger, der Regisseur aus München. Die Spezialisten, die das Überirdische noch herzustellen vermochten, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Walter Vogelweiders durchlöcherter Bühnenbildstil ist ihm zusätzlich abträglich. - Vor hundert Jahren gingen auch die Fächer verloren. Jetzt fehlt für die Rolle des armen Fischers der Naturbursche; und für das Lottchen, Wurzels Ziehtochter, die jugendliche Naive. So gleicht die Aufführung an der Josefstadt einer Harfe mit fehlenden Saiten. Die Melodie ist zwar fragmentiert, aber noch erkennbar. An andern Bühnen kann man sie überhaupt nicht mehr hören.
"Solches Theater schrieb noch Shakespeare, und dann niemand mehr ...
... nach Raimund und Nestroy." Oskar Kokoschka, Autobiographie.