Zu der Zeit der Königinmutter. Fiston Mwanza Mujila. Schauspiel.
Philipp Hauss, Katrin Brack. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2019.
Eine Aufführung für Insider. Da sitzen sie seit Jahren in der selben heruntergekommenen Bar. Früher, als sie jünger und schöner waren, war viel los. Zu der Zeit der Königinmutter war das. Damals war der Ort angesagt. Wer dazu gehörte, war eine tolle Nummer. War, war, war. Heute kommt niemand mehr vorbei. Die abgelebten Selbstdarsteller sind unter sich. Ihre Gespräche kreisen endlos in den alten Geschichten.
Während sich das Sprachspiel auf der Bühne entfaltet, geht im Zuschauer einiges vor. Wie bei der Bierreise des Jagdklubs erfährt er als erstes seine Nicht-Zugehörigkeit. Er kann mit den Geschichten, die sich die Eingeweihten erzählen, nichts anfangen. Er besitzt den Schlüssel nicht, wie er sie aufzufassen hat und wie er auf sie reagieren soll. Als sich eine Zuschauerin entschliesst, sie komisch zu finden, wird sie von einem Schauspieler gleich strafend fixiert. Also ernst.
In der Folge fühlt sich der Zuschauer in die Kindheit zurückversetzt. Da war er auch ausgeschlossen von der Welt der Erwachsenen. Er schaute auf lauter Unverständliches, mobilisierte aber seine Kräfte, um hineinzukommen. Er wollte verstehen, was die Grossen miteinander verhandelten, denn es lag ihm daran, anerkannt zu werden und dazuzugehören.
Regisseur Philipp Hauss mobilisiert diese Impulse, indem er den Text, welchen ihm Fiston Mwanza Mujila zur Verfügung stellt, mit der ernsten Selbstverständlichkeit der Realität in Szene setzt. Da reagieren die Darsteller aufeinander so, als ob sie seit je zusammengelebt hätten, und führen im Lauf des Abends neben dem, was sie den andern zeigen, auch ihre eigenen Sachen durch. Dabei kann sie nichts mehr erstaunen. Sie kennen sich in- und auswendig. Das Beste liegt hinter ihnen. Nun sind sie müde. Sie leben nur noch mit halber Kraft. Für diese verlangsamte Fahrt wies seinerzeit der Zeiger bei den alten Schiffstelegraphen auf die Einstellung "très doucement".
Unversehens bricht der Erzählfaden ab. Anderthalb Stunden sind um. Die Vorstellung ist zu Ende. Einzelne klatschen frenetisch, andere brechen hastig auf. Leeres Einerlei war zu hören, dargebracht von hohlen Menschen. Während dieser Zeit wurde im Nahen Osten geschossen, Selbstmörder sprengten sich in die Luft, Clans und Stämme gingen aufeinander los, Migranten stachen ins Mittelmeer und ertranken. Damit wird die Aufführung zur Anklage: Wie konntet ihr so etwas ernst nehmen! Ist ein Theater, das Jelineksche Textflächen mit Marthalerschen Regiemarotten kombiniert, nicht dekadent? "Auf welchem Planeten lebt ihr?", fragt das Stück. "Seid ihr sicher, dass ihr Menschen seid?"
Zu Beginn des Abends erzählt der Schauspieler Markus Hering von einem Mann, der sich verwandeln konnte. Zuerst machte er es aus Spass, dann aus Lust, schliesslich aus Bosheit. Er wurde zur Schlange, die allen das Leben nahm. Am Ende gelang es ihm nicht mehr, sich in einen Menschen zurückzuverwandeln. Und wie steht es mit der Theaterkunst? Hat die sich etwa auch in die falsche Richtung entwickelt und findet nun nicht mehr zurück in ihre menschlichen Anfänge? Die Frage stellt ein 38jähriger Kongolese, der seit 2009 in Graz lebt.
Und sagt mir, an wen denkt Fiston Mwanza Mujila, wenn er einen Mann zur Sprache bringt, der Solo hiess? Er kam auf seinem Weg in den Regen und löste sich darin auf. Solo hat die Geborgenheit der Gemeinschaft nie erlebt. Bei diesem Vorgang lässt die Inszenierung das Gesicht des Schauspielers Mirco Kreibich hinter brauner Farbe verschwinden. Erde zu Erde.
Offensichtlich ist das Gebrabbel "zu der Zeit der Königinmutter" nichts als Show. Das legt uns das Spiel mit den verschiedenen Vorhängen und Kostümteilen auf der Bühne von Katrin Brack nahe, und auch das Spiel mit dem Ständermikrofon und der dreiköpfigen Band. Lasst euch keinen Bären aufbinden, sagt Regisseur Philipp Hauss und setzt während der ganzen Vorstellung einen Komparsen im Bärenkostüm an den rechten Bühnenrand. Mit solchen Zeichen macht er sein Theater nicht nur kritisch, sondern selbstkritisch. Und gleichwohl bleibt es Kunst: "Es gibt Steine des Anstosses, über die ein jeder Wanderer stolpern muss. Der Poet aber deutet auf die Stelle hin." (Goethe)
Selbstdarsteller.
Alte Geschichten.
Auflösung.