Im "Reigen" geht's an die Wäsche. © Universität Mozarteum/Judith Buss.

 

 

 

Zwei abseitige Produktionen an Aare und Salzach.

 

Die verwandelte Katze. Roger Müller/Jacques Offenbach.

Rockoper.

Jens Daryousch Ravari. Stadtmusik Büren an der Aare.

 

Reigen. Philippe Boesmans.

Oper.

Gernot Sahler, Alexander von Pfeil. Universität Mozarteum Salzburg.

 

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 6. Dezember 2018.

 

 

Der eine Regisseur formuliert verheissungsvoll: "Ich kann voll und ganz hinter dem Projekt stehen. Es ist etwas ganz Besonderes geworden. Ich wünsche Ihnen einen unterhaltsamen und erfreulichen Abend." - Der andere Regisseur teilt seinen Adressaten bloss mit, dass sie zur Premiere eingeladen seien und dass die Vorstellung vier Tage später im Live-Stream zu sehen sei.

 

Das Gemeinsame an den beiden Regisseuren ist (dem enthusiastischen wie dem zurückhaltenden): Sie inszenieren im Abseits; der eine in der Turn- und Sporthalle von Büren an der Aare, der andere im grossen Saal der Universität Mozarteum. In beiden Fällen rekrutiert sich das Publikum aus dem Anhang der Veranstalter. In Büren sind es die Freunde der Stadtmusik, die ihr 150. Jubiläum feiert, in Salzburg die Studenten der Departemente für Oper und Musiktheater, Bühnen- und Kostümgestaltung, Film– und Ausstellungsarchitektur. Das Feuilleton, obwohl eingeladen, bleibt den Aufführungen fern. Es sortiert die Produktionen, fälschlicherweise, unter "Vereinstheater" aus. Und es versäumt damit seine Pflicht, Bümpliz und der Welt zu melden, dass Ausserordentliches (auch) im Abseits zu finden ist.

 

Nun ist die Misere der gedruckten Presse seit langem bekannt. Unbekannt aber ist das Ausmass der Ereignisse, die den Lesern entgehen, weil darüber nicht berichtet wird. Und fatal für den Nachwuchs ist die Tatsache, dass sich die Kritik aufs immer beschränkter werdende Feld der bekannten Namen konzentriert. Talent-Erschnüffelung, bis in die siebziger Jahre noch eine vornehme Aufgabe der Kulturberichterstattung, ist aus ökonomischen Gründen durch die Selbstanpreisung der Macher im Netz ersetzt worden. Die seriöse Auseinandersetzung mit den Hervorbringungen der Kommenden aber findet in der Publizistik heute nicht mehr satt.

 

Der 33jährige Jens Daryousch Ravari ist so ein Kommender. Um das zu merken, braucht man bloss seine Aufführung zu vergleichen mit dem, was sonst auf den Brettern zu sehen ist. Da zeigt sich, dass die Produktion mit dem oberen Drittel mithalten kann. Wenn man sich vorstellt, von welchem Ausgangspunkt die Aufführung emporgetrieben wurde, realisiert man, dass es sich bei der Produktion um eine Auf-Führung im engsten Wortsinn handelt - und die Regieleistung wird noch einmal imponierender.

 

Jens Daryousch Ravari weist nach, dass er alle Strippen des Theaters kennt; dass er sie humorvoll und souverän zu ziehen weiss, und zwar mit fabelhaftem Gespür fürs Timing. Bei guten Aufführungen der Normalklasse erlebt der Kritiker immer wieder, dass er sich sagt: "Jetzt müsste das und das passieren!" - und dann passiert's. Bei Ravari aber passiert es schon, bevor der Gedanke an Veränderung aufkam. Durch diese Vorwegnahme wird der Zuschauer überrumpelt und beglückt. Das Unerwartete erweist sich als richtig. Und damit realisiert die Aufführung jene Qualität, die man "Drive" nennt.

 

"Die verwandelte Katze" hiess die "Rockoper", die am Freitag und Samstag letzter Woche in Büren an der Aare zu sehen war. Ein Riesenaufwand, um an zwei Abenden den Glanz theatralischer Professionalität ins kleine, abgelege Städtli zu bringen. Gleichzeitig illustriert das Ereignis das weise Wort des verstorbenen ORF–Direktors Gerd Bachler: "Programmpolitik ist Personalpolitik." Man muss die richtigen Leute finden. Das ist die Aufgabe hier wie dort. Das heutige Feuilleton indes hat es aufgegeben, die Theater bei dieser Suche zu unterstützen.

 

Darum bleibt auch ausserhalb Salzburgs unbekannt (weil unbesprochen), was das Mozarteum in der Klasse "Master Oper" (nomen est omen) der Universitätsprofessoren Gernot Sahler und Alexander von Pfeil in diesen Dezembertagen an Vorbildlichem leistet.

 

Die Qualität des Regisseurs Alexander von Pfeil zeigt sich darin, dass es ihm gelingt, mit kleinen szenischen Details grosse Bögen herzustellen. Das ist bei einer so facettenreichen Oper wie der "Reigen" von Philippe Boesmans schon einmal bemerkenswert. Dazu kommt, wie bei allen Inszenierungen von Pfeils, das hintergründige, schräge Licht, in das die Menschen und ihre Handlungen gestellt werden. (Dieser Satz ist sowohl realistisch wie metaphorisch zu verstehen).

 

Doch egal ob Salzburg oder Büren – auch Alexander von Pfeil wartet auf Angebote der etablierten Theater. Die reisenden Intendanten sind ausgestorben.

 

Als kürzlich der Jahresspielplan einer mittleren Bühne veröffentlicht wurde, fragte ich die Pressefrau, wie es komme, dass bei der Hälfte der Produktionen immer noch unbegabte Regisseure weiterbeschäftigt würden: "Ist das Dummheit, Blindheit oder falsch verstandene Solidarität?" Die Pressefrau entgegnete trocken: "Sie haben die Antwort schon gegeben."

 

Merke: Auf asphaltierten Strassen sind keine Trüffeln zu finden!

"Der Reigen": il resto non dico ...

"Die verwandelte Katze": Fabelhaftes Timing und -

- auffallend gescheites Spiel mit Projektionen.

© Andreas Dietrich.

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