Der Tod als Loch. © Georg Soulek.

 

 

 

jedermann (stirbt). Ferdinand Schmalz.

Schauspiel.                  

Stefan Bachmann, Olaf Altmann. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 2. Mai 2018.

 

 

Die Tatsache, dass jedermann sterben muss, ist so banal, dass auch der Theatertext von Ferdinand Schmalz für sie nur die allerbanalsten Worte findet: "und jedermann, das opferlamm, stirbt morgen wieder, und stirbt und stirbt, stirbt immer wieder. fast wie die schuldknechte, die in den wüsten und am meeresgrund zu tausenden liegen. von wegen, der tod macht alle gleich. der tod ist eine mauer, ist diese mauer um den garten, die immer höher wird. jedermann ist niemand, niemand anderes als wir. wenn er auch stirbt, verschwindet er doch nicht. wir sterben ewig, leben nicht."

 

Man sieht, es ist nicht weit her mit der elocutio (Beredsam­keit). Auch nicht mit der inventio (Kreativität, Erfindung). Bevor sich der reiche Mann dem Tod ergeben muss, sträubt er sich noch ein bisschen:

 

"jedermann: lass mich nur noch das wichtigste in ordnung bringen.

buhlschaft tod: du traust dich, mich um aufschub bitten?

jedermann: nur diese nacht, mehr will ich nicht.

buhlschaft tod: hab ich mal zugepackt, gibts kein entrinnen.

jedermann: ich bin noch nicht soweit, bei weitem nicht soweit.

buhlschaft tod: das hättst dir früher überlegen sollen.

jedermann: reisst mich mitten aus meinem leben.

buhlschaft tod: gab anzeichen genug.

jedermann: ich will nur nicht alleine gehen.

buhlschaft tod: das glaubst wohl selber nicht, dass dich dorthin jemand begleiten will. nun ist geselligkeit am end."

 

Dann naht das Ende:

 

"- der markt ist eingebrochen.

- unter fluten giftiger papiere.

- die käufer trauen sich nicht mehr.

- ein hoffnungsvakuum.

- den gläubigern fehlt es am glauben.

- schwerste verluste wurden eingefahren.

- es kam zu plünderungen.

- menschenmassen, die in bankfilialen stürmen.

- grässliche bilder verbreiten sich im netz."

 

Die Apokalypse hat, auch sprachlich, ein bekanntes Gesicht. Statt starker Worte und überraschender Metaphern wie der Prachtstil der alten Totentänze (ornatio) bringt der Text, wohl in parodistisch-dekuvrierender Absicht, nur Floskeln:

 

"gute werke: gestatten, charity.

buhlschaft tod: da ist sie ja, die gute charity.

wie stehts ums allerwerteste befinden?

gute werke: danke, schlecht. ich hetzte grad von einem ball zum nächsten.

buhlschaft tod: und alles um der guten sache willen?

gute werke: bin ganz erschöpft schon von der hingabe für sie, die allerärmsten.

buhlschaft tod: bitte teuerste, da können wir nicht zusehen, wenn sie ihr leben

derart rücksichtslos der guten sache opfern.

gute werke: nein bitte, ein kinderlachen ist mir dank genug.

buhlschaft tod: das nenn ich grossmut."

 

Da sich der Theatertext mangels Eigenständigkeit nicht aufrecht­halten kann, wird er mit Zwischentiteln als Bedeutungsattrappen gestützt: "ohne festung auch kein fest", "geschäftslos ist die menschliche natur", "der tod als öffnung in der welt". Diesen letzten Titel setzt Bühnenbildner Olaf Altmann um zu einem kreisrunden Loch in einem goldglänzenden Metallvorhang, der seinerseits den schnöden Mammon und die gepanzerte kapitalistische Festung des Herrn Jedermann symbolisiert.

 

Die Zwischentitel jedoch streicht Regisseur Stefan Bachmann weg, wie auch alle Spielanweisungen, die die Handlung wenn nicht beleben, so doch illustrieren: "jedermann kommt aus dem garten gejoggt, jedermanns mutter mit dem schweisstuch", "die festgemeinschaft steht um ihn, den gastgeber herum, wie um ein grab. bestellt und noch nicht abgeholt. die gläser schon halb leer. doch er, der jedermann, da an der bühnenkante, atmet schwer, schwitzt wie ein kleinanleger."

 

Doch indem die Inszenierung Zwischentitel und Szenenanwei­sungen streicht, streicht sie ungewollt auch die Schwächen der Produktion heraus. Zunächst die Schwächen der Vorlage: Als reiner Hörtext bringt "jedermann (stirbt)" wenig und nichts. Er ist unattraktiv, undramatisch und unoriginell. – Dann die Schwächen des Ensembles, die sich unter dem Begriff S-Schwäche zusammenfassen lassen. Keine der Schauspielerinnen bringt ein vernehmliches S zustande. Ihre Ensemblekollegin Elisabeth Orth könnte ihnen vormachen, was makellose Artikulation heisst. Sie könnten es aber auch abnehmen von Markus Hering, der den Jedermann verkörpert, und zwar, soweit es Stück und Inszenie­rungsanlage zulassen, untadelig. Ebenso untadelig ist seine Diktion. Obwohl seine heisere Stimme nur ins Mezzoforte reicht, ist bei ihm der Text in jeder Silbe verständlich; auch dank der Hörbarkeit der Endkonsonanten. Oliver Stokowski als "armer nachbar gott" kann mithalten. Die beiden jüngeren Darsteller gehen zur Not noch. Unter diesen Voraussetzungen spricht "jedermann (stirbt)" wohl eine unumstössliche Tatsache aus, als Muster für die künstlerische Gestaltung eines alten Themas hingegen wird ihn niemand nehmen.

"reisst mich mitten aus meinem leben."

"... und stirbt und stirbt, stirbt immer wieder." 

"nun ist geselligkeit am end." 

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