Le Bourgeois gentilhomme/Vier letzte Lieder/Till Eulenspiegel. Richard Strauss.
Konzertabend.
Jos van Immerseel. Anima Eterna Brügge im Auditorium von Dijon.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. März 2018.
Das Auditorium von Dijon, laut französischer Wikipedia berühmt für seine europaweit hervorragende Akustik, schnipste nur einmal mit den Fingern: "Ha!" Dann sprach es mit Verachtung: "Den mach' ich zu Mus!" Es meinte den Komponisten Richard Strauss, den Präsidenten der Reichsmusikkammer im Dritten Reich, der in den Anfangserfolgen der Wehrmacht (Dijon war bereits am 17. Juni 1940 besetzt worden) in aller Ruhe sein eskapistisches "Capriccio" zuende komponiert hatte, während seine jüdischen Librettisten das Weite hatten suchen müssen. "Und wenn sie", fuhr das Auditorium hohnvoll fort, "mit 86 Musikern antreten, dann erst recht!" Mit "sie" meinte es die Musiker von Anima Eterna, die auf abenteuerlicher Zugfahrt aus Brügge mit mehrmaligem Umsteigen angereist waren. Unterwegs war einem der Holzbläser in einem Pariser Bahnhofskiosk die historische Oboe abhanden gekommen, während er sich nach einem Magazin umgesehen hatte. "Es ist ganz einfach", sagte das Auditorium mit sturem Vorsatz: "Ich produziere einen Hall von drei bis vier Sekunden. Dann haben sie keine Chance."
Und so war's. Die Partie war nach wenigen Takten entschieden. Im ersten Satz der Orchestersuite zum "Bourgeois gentilhomme" erfuhren die Zuhörer bereits, dass der Klang zerfiel. Die hohen Streicher dominierten mit metallischem Akzent. Die Holzbläser aber waren chancenlos. Ihre warmen Füllstimmen wurden zu Brei zermanscht. Da hätte selbst die historische Oboe nichts mehr ausrichten können. Es war ein Eiertanz. Um den Hall nicht herauszufordern, vermochten sich die Musiker nur vorsichtig zu bewegen. So konnte von befreitem, gar gelöstem Spiel den ganzen Abend lang nicht die Rede sein.
Schon einmal war es der Fall gewesen, dass das Orchester nicht so zusammen war, wie man es von Anima Eterna gewohnt ist. Damals war die Bühne nur behelfsmässig von Opern- auf Konzertbetrieb umgerüstet worden, und deshalb zerstob der Klang von den Pulten weg in alle Richtungen, und die Musiker hörten sich nicht. Diesmal war das Orchester auch wieder nicht beisammen. Aber die Gegend hat ihre besonderen Probleme. Das Burgund und die Franche-Comté wurden, noch unter Hollande, gegen ihren Willen und alle historische Vernunft zu einem Riesendepartement zusammengelegt; und nun soll hier, sozusagen zur Identitätsbildung, ein neues Orchestre national gebildet werden. Welches der bestehenden beiden Orchester den kürzeren zieht, das von Dijon oder das von Besançon, ist noch nicht entschieden. Verständlich, dass der Saal jetzt opponiert und seine schlechteste Akustik ins Feld führt. Schliesslich befinden sich die öffentlich Bediensteten auch seit einer Woche im Dauerstreik gegen die Reformpläne der Regierung Macron.
Anima Eterna gelang es nur an wenigen Stellen, Punkte zu machen. Immer, wenn das Orchester sehr leise wurde, verstand es, den Hall auszutricksen. Zu diesen kostbaren Momenten gehörten die violinistischen Solopassagen des Konzertmeisters Jakob Lehmann. Er streifte mit seiner stupenden Beherrschung des Instruments zuweilen ans kecke Auftrumpfen, gab damit aber dem Konzertabend, der ganz Richard Strauss gewidmet war, eine erfrischend juvenile Note.
Wunderbar auch, wie Jos van Immerseel im letzten der "vier letzten Lieder" die Flöten ins Verdämmern des Abendrots gleiten liess. Das war schon fast überirdisch. - Und dann die Verhaltenheit der Zugabe, "Morgen". Der schöne, gerade geführte, anstrengungslos leichte und durch alle Register hindurch homogene Sopran der Koreanerin Yeree Suh verschmolz, ja: verschmolz (endlich!) mit dem Orchester zu jener überwältigenden, weil transzendenten Innigkeit, die Altmeister Immerseel immer häufiger hervorzurufen versteht. Ausgerechnet im letzten und schlichtesten Stück des Abends also erklang Musik ohne Abstriche. Geben wir dem Auditorium deshalb noch eine Chance. Anima Eterna jedenfalls fährt in der nächsten Spielzeit wieder nach Dijon.
"Im Abendrot" gleiten die Flöten ins Verdämmern.