Der Russe ist einer, der Birken liebt. Olga Grjasnowa/Yael Ronen.
Schauspiel.
Yael Ronen. Maxim Gorki Theater Berlin.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2018.
Im verhältnismässig intimen Gorki-Theater wird die Bühnenfassung von Olga Grjasnowas Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" vorgetragen. Sie läuft schon im fünften Jahr. Die Vorstellung ist ausverkauft, und auf dem Platz vor dem Haus werden die Eintretenden bescheiden gefragt, ob sie etwa eine Karte zuviel hätten. So strömt alles herzu, um die Geschichte von Mascha zu verfolgen. Sie kommt aus Aserbeidschan, studiert in Berlin und landet am Ende in Israel. Seit drei Jahren lebt sie mit einem Deutschen zusammen. Von mütterlicher Seite her ist sie Jüdin. Der Ex ist Palästinenser. Von welchem der beiden Männer das Kind stammt, das in sich heranwachsen spürt, ist ihr nicht klar. Darum lässt sie es abtreiben.
Die Episoden – auf der Bühne "Kapitel" genannt – werden von einem schwulen Gitarristen angesagt. Auch er ist, wie die meisten auftretenden Personen, Deutscher mit Migrationshintergrund. Als Empathie-Genie kann er sich in die andern hineinversetzen und ihnen auf diskrete Weise behilflich sein, während sie sich suchen und mit dem, was ihnen Leben und Schicksal zuspielen, schlecht zurechtkommen.
Immer wieder vermischt sich das Tragische mit dem Komischen, der verzweifelte Ernst der politischen und persönlichen Lage mit der Lächerlichkeit des Alltags und der Jämmerlichkeit der Versager. Damit zeichnet das Multikulti-Stück die Leiden der jungen Städter in ihrem Schwanken zwischen Selbstironie und Verzweiflung, und die Besucher finden ihre Lebensaufgabe auf der Bühne wieder, gleichzeitig für sich zu sorgen und für die andern da zu sein.
Es genügt, die Situation mit ein paar Gitarrenklängen anzuspielen, dann können schon die Schauspieler auftreten und ihre Befindlichkeit aussprechen. Auf diese einfache, aber wirkungsvolle Weise macht das Gorki Theater populäres Theater im besten Sinn. Es bringt Ausschnitte aus dem Leben einer vielgeprüften jungen Frau ohne provokative Formexperimente. Keine Headsets. Keine Ständermikrofone. Keine Vervielfachung der Personen. Kein chorisches Sprechen. Kein Planschbecken. Keine gegengeschlechtlichen Besetzungen. Keine Handkameras. Keine Überblendung von Theater und Film. Dafür schlichtes, einsträngiges Erzählen der Handlung von vorne nach hinten.
Die Schauspieler verkörpern einwandfrei ihre Rollen. Damit verschmelzen für das Publikum die Figuren mit den Darstellern. Sami, der Palästinenser, stellt sich vor: Er sei väterlicherseits Schweizer. Eine Mutter in der ersten Reihe zeigt auf ihre Tochter und ruft: "Sie ist auch halbe Schweizerin!" "Woher bist du denn?", fragt der Schauspieler. "Aus Bern." "Schön. Aber weisst du, ich bin nur auf der Bühne ein halber Schweizer. In der Wirklichkeit nicht."
Auf diese Weise ereignet sich heute in Berlin, was Goethe im September 1786 in Venedig beobachtete: "Die Zuschauer spielen mit, und die Menge verschmilzt mit dem Theater in ein Ganzes. Ihr Anteil an einem Schauspiel ist nur als an einem Wirklichen. Die meisten Situationen waren bekannt, einige neu und ganz glücklich. Die Schauspieler hatten gut spielen. Das gewöhnliche Geschrei dieser Leute im Guten und Bösen, ihre Händel, Heftigkeit, Gutmütigkeit, Plattheit, Witz, Humor und ungezwungene Manieren, alles ist gar brav nachgeahmt. Aber auch so eine Lust habe ich noch nie erlebt, als das Volk laut werden liess, sich und die seinen so natürlich vorstellen zu sehen."
Händel, Heftigkeit, ungezwungene Manieren ...
Die meisten Situationen sind bekannt.