Das Licht im Kasten. Elfriede Jelinek.
Schauspiel.
Elias Perrig, Beate Fassnacht. Deutsches Theater Göttingen.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2018.
Wer sich auf die Suche nach Erkenntnis macht, stellt schon nach wenigen Schritten fest, dass das Reich der Gewissheiten hinter ihm liegt und dass es von nun an mit der handwerksmässigen Folgerichtigkeit des Step-by-step vorbei ist. Vielleicht kommt man durch Sprünge eher zur Wahrheit? Oder durch Intuition? Jedenfalls sind schwierige Sachen schwierig. Sie verlangen zartere Instrumente als die aristotelische Logik. Freud empfahl gegenüber dem, was dem Analytiker entgegentritt, "gleichschwebende Aufmerksamkeit", und Maigret stritt immer ab, eine Methode zu haben. Indem er, ohne steuernd einzugreifen, dem Lauf der Enquête folgte, blieb er offen für das, was kam, und fähig, das Muster zu erkennen, das sich mit der Zeit aus den Dingen herausschälte. Paul Valéry fasste diesen Prozess zusammen im Satz: "Penser, c'est perdre le fil." Er meinte, wirkliches Denken bedeute, den Ariadnefaden zu verlieren; nur so werde man durch die unüberblickbaren Wendungen des Labyrinths zum Unvermuteten geführt.
Diese Art des Denkens entspinnt sich jetzt in Elfriede Jelineks Text "Das Licht im Kasten", den Elias Perrig mit den Schauspielerinnen Gaby Dey, Christina Jung und Judith Stössenreuter inszeniert hat. Sie stecken in einer Vitrine auf der Vorbühne. Auf undurchschaubare, aber faszinierende Weise verändern sie Stellungen, Sprechrhythmen und Intensitäten, und das Licht, das in den Kasten fällt, wechselt dazu – ebenso undurchschaubar, aber faszinierend – Charakter, Ausstrahlung und Farbe.
Die Aufführung ist also minimalistisch. Sie reagiert aber auf hintergründige Weise auf die Mehrdeutigkeit des Texts. "Das Licht im Kasten" - ist das das Licht, das aus dem Schaufenster kommt und die Kundinnen anlockt? Oder ist es das Licht im Hirnkasten der Sprecherinnen, das die Blicke aus dem dunklen Zuschauerraum auf sich zieht? Obwohl die Schauspielerinnen durch eine Glasscheibe vom Publikum getrennt sind, wandern ihre Gedanken in den Saal und erfassen die Zuhörer, weil die Textanlage im Kasten drin und die Gegenwart in der Welt draussen auf verwirrende Weise ineinander verwoben sind. Schwierige Sachen sind schwierig.
Der "Stoff", wie Schiller zu sagen pflegte, tut wenig zur Sache. Das Wesentliche liegt in seiner Verarbeitung. So wird Elfriede Jelineks Text über die Textil- und Modebranche, über die Geltung von Kleidern und den Geltungsanspruch der Individuen zu einem hochsymbolischen Werk über die komplexen Verstrickungen des heutigen Menschen, der vor lauter Vorbildern den Weg zum guten Leben nicht mehr findet. Das philosophische Seminar der Georg August Universität nebenan könnte ein Semester ans "Licht" und den "Kasten" geben, es käme zu keinem Ende.
Im Kasten der Sprache steigen die Gedanken auf, machen ein paar Kurven und fliegen dann Richtung Licht. Doch dann stossen sie an die Scheibe, die sie von der Welt trennt. Benommen rappeln sie sich zusammen, beschreiben ein paar Kurven und landen erneut in der Scheibe, die ihren Flug begrenzt. Den Durchbruch zu schaffen und ans wahre Licht zu kommen, das wäre die Aufgabe im philosophischen Seminar wie im Leben. "Das Licht im Kasten" stellt sie den Zuschauern, und die Produktion des Deutschen Theaters Göttingen umspielt den möglichen Tiefsinn mit fein dosierten Theatermitteln. So bietet es mit lakonischer Eleganz eine wohlgelungenen, unterhaltsamen Abend.
Auf faszinierende, aber undurchschaubare Weise ...
... ändern sie Stellungen, Intensitäten ...
... je nachdem das Licht einfällt.