Trust. Falk Richter, Anouk van Dijk.
Projekt.
Falk Richter, Anouk van Dijk, Katrin Hoffmann, Daniela Selig, Malte Beckenbach, Carsten Stander. Schaubühne Berlin.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2018.
Durch die Elemente Raum, Bewegung, Objekte, Sprache und Musik bauen Frank Richter und Anouk van Dijk ein starkes Stück, dessen Wucht einen von der ersten Spielminute an packt, noch bevor man weiss, worum es geht. Aber man spürt gleich: Es ist anders als das Übliche, und grösser ist es auch. Der Prototyp, mit dem die Verschmelzung der Genres einen Gipfel erreicht, bezieht seine Kraft aus der traumhaft gesetzten und intuitiv überzeugenden Konstellation von Gedanken, Tönen und Situationen. Ein Werk sui generis mit einer Ästhetik, die nicht aufhört, einen in Bann zu ziehen.
Das erste Textelement, das dem Publikum zugespielt wird, ist eine aporetische Wenn-Dann-Konstruktion, die darauf hinausläuft, dass das Handeln nicht weiterhilft: "Und wenn ich gehen würde, würde es nichts ändern / Und wenn ich bleiben würde, würde es nichts ändern / Und wenn du mich anschauen würdest, würde es nichts ändern / Und wenn du einfach nur dasitzen würdest, würde es nichts ändern ..."
Das Unbehagen an der Situation führt zwar zum Wunsch nach Veränderung: "ich kann nicht mehr so leben es ist wie ... nicht leben. ob du da bist oder nicht und ob ich hier bin oder nicht ... das fühlt sich alles gleich an und ... ich muss weg, ich will das ändern ... ich will ... ein anderes leben". Aber der Blick in die Realität führt gleich wieder zu Resignation. Deshalb sagen die Spieler, die auch Tänzer sind: "Lass uns einfach alles so lassen, wie es ist. Es ist zu kompliziert, das jetzt alles zu ändern. Lass uns nicht alles durcheinander bringen." So erlahmen am Ende die Flügel.
Das Projekt – so nennt sich "Trust" – stellt eine Befindlichkeit dar, in der sich das mehrheitlich junge, akademisch gebildete Publikum wiedererkennt, und damit erfüllt das Theater "genau jene Quadratur des Kreises, um die sich die Schaubühne unter Thomas Ostermeier so fleissig bemüht. Einerseits hip zu sein und anderseits – sagt man das noch? – kritisch." (Der Tagesspiegel) Zur Darstellung kommt die Ausweglosigkeit in einem Irrgarten, der je nach Blickwinkel die verschiedensten Attribute bekommt: Irrgarten des Systems, Irrgarten des Kapitalismus, Irrgarten der Finanzwirtschaft, Irrgarten der Gefühle, Irrgarten der Beziehungen, Irrgarten der Wissenschaft, Irrgarten der virtuellen Blasen und Bilder. Jesus fasste all diese Irrgärten zusammen unter dem Begriff "Welt", und er sagte: "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." Leider glaubt heute keiner mehr daran. Jedenfalls kein Besucher der Schaubühne. Und auch nicht das Produktionsteam. Sonst könnte es die schwarze Ausweglosigkeit nicht so überzeugend darstellen.
Künstlerisch ist diese Haltung einwandfrei. Sie deckt sich mit der Tschechows, und nur Werke, die auf ihr beruhen, können wir noch ernstnehmen: "Sie [A.S. Suvorin] haben vollkommen recht, wenn Sie von dem Künstler bewusstes Verhalten zu seiner Arbeit verlangen. Sie verwechseln nur zwei Dinge: die Entscheidung der Frage und die richtige Fragestellung. Nur die letzte ist für den Künstler unerlässlich. Weder in 'Anna Karenina' noch in 'Onegin' ward irgendeine Frage entschieden. Wenn aber beide Schöpfungen Sie durchaus befriedigen, so einzig und allein deshalb, weil alle Fragen in ihnen richtig gestellt sind. Der Richter ist lediglich verpflichtet, die Fragen richtig zu stellen, mögen dann die Geschworenen entscheiden, jeder nach seinem Geschmack ..."
Im Unterschied zu Tschechow aber ist Falk Richter kein Dichter. Und hier liegt der schwache Punkt der Produktion. Durch die "Materialsammlung und Textfläche" (nachtkritik.de) beschwert, bewegt sich der Ausdruck nur auf der journalistischen Ebene, manchmal auch auf der karikaturesken und kabarettistischen. Gleichviel: Die Gesetze hinter Falk Richters Sätzen sind immer noch die der Standardsprache. Damit ist ihm die Wucht des Prophetischen versagt. Statt eine eigene Sprache zu schmieden, formuliert er bloss das Lamento eines heutigen Durchschnittsintellektuellen. Sätze wie die von Pozzo gelingen ihm nicht:
"Wladimir: Lucky.
Pozzo: Er soll singen?
Wladimir: Ja. Oder denken. Oder rezitieren.
Pozzo: Er ist doch stumm.
Wladimir: Stumm!
Pozzo: Vollkommen. Er kann nicht mal stöhnen.
Wladimir: Stumm! Seit wann?
Pozzo (plötzlich wütend): Hören Sie endlich auf mich mit Ihrer verdammten Zeit verrückt zu machen? Es ist unerhört! Wann! Wann! Eines Tages, genügt Ihnen das nicht? Irgendeines Tages ist er stumm geworden, eines Tages bin ich blind geworden, eines Tages werden wir taub, eines Tages wurden wir geboren, eines Tages sterben wir, am selben Tag, im selben Augenblick, genügt Ihnen das nicht? (Bedächtiger.) Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick und dann von neuem die Nacht."
In letzter Hinsicht also verhindert die Enge von Falk Richters Texthorizont, dass aus dem sehr guten ein grosser Abend wird. Schon wächst eine Generation heran, die zu "Trust" sagen wird: "Alte Geschichten. Längst vergessen, längst verschmerzt." (Kafka) Und nur, weil Richter kein Dichter war.
... ich will ... ein anderes Leben ...
Doch am Ende erlahmen die Flügel.