Ludwig II. Bastian Kraft.
Schauspiel.
Bastian Kraft, Jonas Link, Dagmar Bald, Arthur Fussy. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. Oktober 2017.
"Ludwig II." hat das Gute, dass man während der Vorstellung die höhere Buchhaltung lernen kann. Was das Geld in der Welt für eine Rolle spielt, führt schon die Titelfigur vor, wenn sie es mit vollen Händen aus dem Fenster wirft. Neuschwanstein, Bayreuth, Linderhof, Herrenchiemsee, solch überrissene Bauprojekte, nein, das kann nicht gut kommen, denkt man zusammen mit Hof und Zeitgenossen und verwundert sich nicht, dass der bayrische König am Ende buchstäblich für unzurechnungsfähig erklärt werden muss. Heute indes haben die Projekte, die "Unsummen" verschlangen, ihre Ausgaben, so unvernünftig sie zur Zeit ihrer Entstehung auch schienen, glänzend amortisiert. Der Return on investment ist dermassen überzeugend, dass man im Freistaat wünscht, Ludwig II. hätte mehr Schlösser gebaut. "In the long run" hat sich also der "Bauwahn" gerechnet, und "in the end of the day" erkennen wir, dass der "verrückte König" in Wirklichkeit bloss "Visionen" hatte, wie sie heutzutage jede "normale" Unternehmens-"Strategie" von ihren "Leadern" verlangt. - Im Gegensatz zu den Krämerseelen an Hof, Ministerium und Armee, also den "Realisten", waren Ludwig II. und sein Richard (Wagner) als Propheten des "think big" zu kühnen Entwürfen fähig, und die Geschichte gab ihnen recht.
Ähnlich gross dachte Luchino Visconti, als er das Leben Ludwigs II. ins Kino bringen wollte. Aber die geplanten vier Stunden kamen nicht zustande, weil den Produzenten wenn nicht das Geld, so doch die Geduld ausging. Und dann schlug auch noch, wegen allzu freizügiger Szenen, die Zensur zu, so dass die Dauer des Films auf zweieinhalb Stunden schrumpfte. Gleichwohl haben sich, wie sich heute zeigt, Viscontis Visionen "gerechnet". Von ihm spricht man noch, im Gegensatz zu seinem Kollegen Fellini. Die "Verdammten" wurden für die Bühne adaptiert und laufen zur Stunde überall, in der Comédie-Française so gut wie im Burgtheater. Und die Tantiemen fliessen an die Societa Italiana Degli Autori Ed Editori, Roma, und damit an die Erben und Nutzer der Urheberrechte. Rechne.
Gleich verhält es sich mit der Bühnenfassung von "Ludwig II.", die Bastian Kraft "nach dem Film von Luchino Visconti" diesen Herbst für die Burg erstellt und inszeniert hat. Soll und Haben. Der Erlös, den die Visionäre "generiert" haben, fliesst wieder in die Taschen der Nachkommen und Epigonen. Höhere Buchhaltung. Das Stück rechnet sich. Es belastet das Gagenbudet kaum, denn es verlangt nur drei Rollen: 1. Elisabeth (ja, Sissi), 2. Ludwig (der schönste Monarch seiner Zeit), 3. Wagner (der grösste Komponist des 19. Jahrhunderts). Jeder dieser Pfundsnamen gab schon das Sujet für mehrere Filme und Fernsehdokumentationen, nicht zu reden von bedruckten Porzellantassen und T-Shirts. Die drei gehören zu unserer Alltagsmythologie. Und wenn man sie noch mit den Burgtheater-Lieblingen Regina Fritzsch, Markus Meyer und Johann Adam Oest besetzt, sollte "Ludwig II." für volle Häuser sorgen. (Das tut er zwar nicht ganz, aber das steht auf einem anderen Blatt.)
Beim Dreipersonenstück müssten jetzt Spannung und Handlung aus dem Dialog erwachsen. Aber dafür brauchte es einen Dichter. Und die sind unbezahlbar, weil auf dem Markt aktuell grad nicht im Angebot. So kommt es billiger, Viscontis lockerem Episodenreigen zu folgen - von der glanzvollen Inthronisation bis zum jämmerlichen Ertrinkungstod. Die fehlenden Figuren lassen sich durch Vorproduktion aufzeichnen und durch Video einspielen (Jonas Link). Wenn das Stück oft genug gegeben wird, rechnet sich das. Abgesehen davon, ist Video heute in, wie auch die Verwendung von Lippenmikrofonen und die Abmischung des gesprochenen Worts mit Klängen (im Programmheft heisst es dafür: Musik Arthur Fussy). So wird der Mangel an Inspiration ersetzt durch Bildlogistik.
Es braucht allerdings, damit die Erwartungen der Kund*innen nicht enttäuscht werden, the full package. Regina Fritsch und Markus Meyer müssen sich Gesicht und Kostüme mit Schlamm und Wasser beschmieren. Man wird aber die Kosten für Reinigung und Neuanfertigung der Kostüme in der Gesamtrechnung berücksichtigen. - Aus Gründen der Unfallvermeidung ist es geraten, den Ludwig-Darsteller auszuziehen, bevor er ins Wasser steigt und mit einem Blubbern untergeht. Er kann sich dann, für die Zuschauer unsichtbar, auf der Unterbühne aus dem Wasser ziehen, ohne sich in den Kleidern zu verheddern. - Wenn man davon ausgeht, dass er für seine Ganzkörperbräunung aus eigenen Mitteln aufkommt und somit das Budget der österreichischen Bundestheater nicht belastet, rechnet sich der Effekt doppelt. Zumal der Schauspieler sympathisch ist und auch sonst alles gibt.
Auf diese Weise belegt "Ludwig II. nach dem Film von Luchino Visconti" (so der volle Titel) den Nutzen der höheren Buchhaltung. Die Rechnung geht auf. Die Faktoren greifen ineinander und bringen die Gesamtheit aller Posten ins Plus. Dafür braucht es weder Kunst noch Genie. Es genügen die soliden Marktgrundsätze und die regelkonforme Umsetzung des etablierten und mehrfach erprobten State of the art. - Will jemand mehr?
Ein glänzendes Paar: Ludwig und Sissi.
Richard Wagner bekommt auch eine Rolle.
Und daneben: Video, Video, Video ...