Evita. Andrew Lloyd Webber.
Musical.
Kurt Josef Schildknecht. Meininger Staatstheater.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 19. Juni 2017.
An der Premierenfeier erhielt Kurt Josef Schildknecht für seine "Evita" schon die Prämie, von der alle Künstler am Theater träumen: Ein Folgeengagement. Den Meininger "TheaterFreunden" [sic] und allen am Haus Beschäftigten verkündete Intendant Ansgar Haag: "Er wird wieder kommen und in zwei Jahren den 'Mann von La Mancha' inszenieren!" Damit ist Kurt Josef Schildknecht, ein 73jähriger, in Kärnten wohnhafter Thurgauer, nach Peter Stein (80) der älteste (noch) gefragte Regisseur in der deutschsprachigen Theaterwelt. "Die zwei Grossen halt", bemerkt dazu Christine ter Braak, die Intendanzsekretärin des Saarbrücker Staatstheaters. Das sollen die jüngeren, heute (noch) gefragten Kollegen den beiden Grossen mal nachmachen. Schildknecht aber verreist jetzt schon weiter ins österreichische Waldviertel, um in der Burgruine von Gars am 13. Juli – also in weniger als einem Monat – die "Zauberflöte" herauszubringen.
Aus diesem Programm erkennt man schon, warum Altmeister Schildknecht ein gefragter Mann ist: Er kennt alle Theaterstrippen. Er versteht es, Ensemble und Technik hinter sich zu bringen - schon nur, weil ihm der Ruf voraus eilt: "Jetzt kommt endlich wieder einmal einer, der's kann!" Dank seinem Metier gelingt es ihm, Beschränktheit und Routine der mittleren Häuser zu transzendieren und glänzende Erfolge einzufahren. Damit ist Schildknecht für die Intendanten ein sicherer Wert. Er scheut sich nicht, publikumsfreundlich, nein: publikumswirksam zu inszenieren. Er führt die Arbeitsprozesse mit ruhiger Hand bis zur Premiere. Es gibt bei ihm keine Theaterskandale und keine Probenkräche. Dafür bringt er volle Kassen. Kurt Josef Schildknecht is a man for all seasons.
Diese Qualitäten zeigen sich auch bei Andrew Lloyd Webbers schmalbrüstiger "Evita", einem Werk, dessen Kombination von einfältiger Sentimentalität und berechnender Massentauglichkeit kaum zu überbieten ist. Hier ist es wichtig, dass immer etwas läuft, damit durch permanenten Taumel der Schwindel nicht auffliegt; und Schildknecht versteht es meisterlich, auf allen Ebenen den Bühnenzauber auszuspielen. Stetsfort wird den Augen etwas geboten - wenn auch nicht immer den Ohren. Häufig sind die Sänger nicht beisammen. Aber dafür hat Meiningen noch nie so viele Microports verwendet wie in dieser Produktion. "Ein Lob für unsere kleine Tonabteilung!", ruft der Intendant anerkennend.
Mit ingenieurmässiger Überlegenheit führt Kurt Josef Schildknecht vor, wie man Massen organisiert und Chöre belebt. Zusammen mit seinen Licht-, Bühnen-, Kostüm- und Videogestaltern zeigt er, wie man Hubpodien, Drehbühnen, Scheinwerfereffekte und Kostümwechsel so ineinander verzahnt, dass ein starker Bildeindruck aus dem andern hervorwächst. Auf diese Weise entsteht das Gefühl einer unermesslichen Menge von Volk, Generälen und Soldaten. Eine logistische Meisterleistung. Dabei wird die Produktion, wie der Intendant unterstreicht, ausschliesslich vom Ensemble getragen. Chor, Ballett und Solisten – alle aus Meiningen und Eisenach. Für die Künstler sind die Kostümwechsel hinter der Bühne fast noch anforderungsreicher als das Geschehen auf der Bühne selbst. Langeweile kommt da nie auf. Wohl aber Leere. Aber die geht aufs Konto von Komponist und Librettist. "Evita" ist eben doch nur ein seelenloses Produkt der gewinnorientierten Unterhaltungsindustrie.
Als Kritiker fragt man sich, ob die künstlerischen Fähigkeiten des zweitältesten (noch) gefragten Regisseurs mit Musicals adäquat eingesetzt werden. 1981 hat Kurt Josef Schildknecht in Graz einen aufsehenerregenden "Faust" herausgebracht. Die beiden Teile des Schauspiels wurden aufgezeichnet und von ORF mehrfach ausgestrahlt. Sie blieben bis 1997 im 3sat-Repertoire. - 1999 zeigte Schildknecht in Saarbrücken eine ganz anders geartete, aber ebenso intensive "Iphigenie" ... Wenn ein Theaterleiter wirklich Mut zum Neuen, zum Experiment und zum Ungewöhnlichen hätte, würde er Kurt Josef Schildknecht jetzt (noch) mit einer Uraufführung betrauen. Zum Beispiel in Bern, wo er 1989/90 die Dramatikerwerkstatt leitete. Was für eine aufregende Produktion ergäbe sich, wenn junges, vielversprechendes dramatisches Talent mit alter, bewährter Könnerschaft zusammenkäme! Die "Stimme" gäbe viel darum, das (noch) zu erleben.
Mit Wechsel der Kostüme ...
... wächst Bildeindruck ...
... aus Bildeindruck.