Baal. Bertolt Brecht.
Schauspiel.
Christine Letailleur, Emmanuel Clolus, Stéphane Colin. Théâtre national de Bretagne/Rennes et Théâtre national de la Colline, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Mai 2017.
In "Baal" beschreibt Brecht einen Fluss, der über die Ufer tritt. Also ein Naturereignis, eine Wucht. Die Flut bricht die Dämme nieder und überschwemmt Vieh, Menschen, Strassen, Felder, Dörfer. Wo der Fluss hinkommt, bringt er Zerstörung. Einzelnes trägt er eine Weile mit, spielt mit ihm und lässt es schliesslich als zerbrochenes Strandgut am Rand seines Weges liegen. Und doch ist er schön, wenn er, gesäumt von waldigen Hügeln, in seiner Unermesslichkeit daliegt, breit und glänzend und still. Und der Himmel spiegelt sich in ihm und die Sterne.
Baal ist dieser Fluss, und Brecht ist dieser Baal. Die Phantasie des zwanzigjährigen Dichters ist uferlos. Grandiositätswahn und Rausch fliessen ineinander zu einem lyrischen Gebilde von epischer Breite, das sich als Schauspiel gebärdet. "Baal" ist demnach eine traumbewegte Mischform, die erst ein Ende findet, wenn sie sich verströmt hat.
Es ist allein schon ein Verdienst, dieses ungeschlachte Werk auf die Bühne zu bringen, auch wenn man damit nur scheitern kann. Das Théâtre national de Bretagne/Rennes hat sich dem Wagnis gestellt, zusammen mit sechs Koproduzenten, darunter das Théâtre national de la Colline, Paris, und es ist gescheitert.
Ein Teil ist selbstverschuldet: Die Schauspieler (Rennes halt) sind allesamt zu schwach. Das Bühnenbild, konzipiert fürs Touren, bleibt stecken in charakterloser Funktionalität (Emmanuel Clolus und Christine Letailleur). Das Licht ist herkömmlich und zahm (Stéphane Colin). – In einem seiner bemerkenswerten kunsttheoretischen Aufsätze definierte Goethe die Stufenfolge "Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil". Die Regie (Christine Letailleur) kommt über die einfache Nachahmung des Textes nicht hinaus. Manchmal streift sie zwar die Manier. Aber einen Stil findet sie nicht. So wirkt das Ganze schüchtern und gefällig. Mit einem Wort: nett. Man könnte auch sagen: medioker.
So trägt allein Bertolt Brechts Text. Seine entfesselte Phantasie. Die Kraft seiner lyrischen Bilder. Sogar auf Französisch. Aber auch Brechts Worte werden auf die Dauer dadurch entwertet, dass der Mut fehlte zu einer Pause. Oder zu Strichen. Oder zu beidem. So ist es bei einer ununterbrochenen Spieldauer von zweieinhalb Stunden unvermeidlich, dass sich Längen einstellen, und Durchhänger.
Ein Teil des Verschuldens liegt auch am Stück: Es ist zu breit, und sein Gefälle ist zu schwach. Brechts Feder gleitet übers Papier, und sie kommt zu dem und zu dem und zu dem, und hinter dem richtungslosen Mäandrieren kommt kein Ende in Sicht. Damit fehlt dem Ganzen – wie dem Genre der Textfläche überhaupt – die Spannung; und um sie durch Faszination zu ersetzen, fehlt der Truppe die Kraft.
Der Darsteller des Baal ist ein Sonderfall. Als Fünfzigjähriger kann Stanislas Nordey das junge Genie nicht geben. Dafür wählt er für seine Darstellung eine Linie, mit Betonung auf "eine". Fadengerade, scharf und unbeirrbar wie ein Laserstrahl spricht er, jede einzelne Silbe kraftvoll skandierend, einen Text, der durch die Kühnheit seiner Bilder an die alttestamentlichen Propheten erinnert. Mit der Gleichförmigkeit des Sprechakts hebt Nordey den Text aus dem einfachen Abbilden innerer und äusserer Zustände heraus und macht ihn zu einem eigenständigen Ereignis. Auf diese Weise bekommt das schlecht definierte szenische Gebilde Halt, und als Sprachgeschehen prägt sich seine Darstellung ein.
Das Licht ist herkömmlich und zahm.