Der Boden ist nass, es hat soeben geregnet. 

© Christian Brachwitz.

 

 

 

Das goldene Vlies. Franz Grillparzer.

Dramatisches Gedicht.                  

Susanne Lietzow, Aurel Lenfert, Marie-Luise Lichtenthal,

Gilbert Handler, Petra Zöpnek. Landestheater Linz.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. März 2017.

 

 

Beim "goldenen Vlies" tut das Schauspiel Linz, was es kann. Und das, was es kann, tun die andern auch. Keine Rede also von Unverwechselbarkeit. Wieder beginnt die Vorstellung auf offener Bühne. Ein junger Mann kauert, so scheint es, vor einem Schachbrett. Man sieht es nur beim Hereinkommen, denn nachdem man Platz genommen hat, verdecken die Köpfe der vorderen Zuschauer den Bühnenboden. So entzieht sich die Bedeutung des Spiels, noch bevor die Tragödie angefangen hat. Später wird es anfangen zu regnen. Das laute Klatschen der Tropfen wird während zehn Minuten den Dialog übertönen. Aber auch das ist nicht weiter schlimm. Denn Regisseurin Susanne Lietzow hat ohnehin Franz Grillparzers dramatisches Gedicht, das ursprünglich an zwei Abenden aufgeführt wurde, auf zwei Stunden zusammengestrichen. Viel Text bleibt da nicht übrig, und was übrig bleibt, ist nicht immer vom Autor: "Hau ab". "Nee". "Okay, okay". "Barbarenschlampe".

 

Im übrigen wird laufend Geräusch und Musik beigemischt (Gilbert Handler). Sie haben die Aufgabe, jene Intensität zu ersetzen, die die Schauspieler durch Wort und Spiel nicht mehr hervorzurufen vermögen. Dafür nämlich müssten sie Text haben. Und die Zuschauer müssten diesen Text verstehen können. Aber dem stehen schon die Schweinwerfer im Wege, deren Ventilatoren an den Stellen, denen weder Klang noch Geräusch beigemischt sind, die Handlung mit einem Grundrauschen von 15-20 dB begleiten.

 

Ein einziger Schauspieler hat die Kraft, dagegen anzukommen. Es ist, wie anderswo auch, der älteste, Lutz Zeidler als König von Kolchis. Er gehört zur Generation, die das Handwerk noch gelernt hat. Darum hat er jetzt eine messerscharfe Diktion. Jeder Konsonant kommt herüber, und vor allem auch, wie bei der Doyenne des Burgtheaters Elisabeth Orth, jedes S. Eine Wohltat. – Lutz Zeidler antwortet eine junge Frau, die keine Endkonsonanten ha·. Und auch kein ·, ·o da·· man von jetz· an den Anspruch aufgeben kann, dem Dialo· zu folgen. Au·gerechne· die·e junge Frau (Ines Schiller) steht nun aber den ganzen Abend auf der Bühne, denn sie spielt die Medea. Was ihr an Ausstrahlung abgeht, sucht das Video von Petra Zöpnek beizumischen, das an Aurel Lenferts Metallgitterwand geworfen wird. Aber die durchlöcherte Projektion ist eher Geflacker als Botschaft. Nun entblössen Medea und Jason den Oberkörper, um sich näher zu kommen, und zeigen auf Brust und Rücken verschiedene Tatoos, ohne dass sich entscheiden lässt, ob die barbarischen Zeichen zu den Schauspielern gehören oder zum Kostüm (Marie-Luise Lichtenthal).

 

Natürlich finden sich im Linzer "Goldenen Vlies" die obligaten Ständermikrofone, das schicke Überkreuzen von analogen und digitalen Inhalten, und auch das Element, das die französische Kritik mit penetranter Hartnäckigkeit "keine Idee" zu nennen pflegt. So wird das kluge, strenge, eigenständige Konzept in Linz ersetzt durch "Mätzchen" (um ein Wort des verstorbenen Kollegen vom "Bund", -tt-, aufzunehmen) und, im konkreten Fall, sogar durch eine wahrhaft spritzige Pointe: "Bist du Soldat?", fragt Medeas kleiner Junge den König von Korinth in der Aufführung (nicht im Stück). Kreon antwortet: "Ja." Darauf zieht der Bub eine Wasserpistole und schiesst dem Angesprochenen den Strahl mitten ins Gesicht. Grillparzers "dramatisches Gedicht" ist da schon gestorben.

Ob die barbarischen Zeichen zu den Schauspielern gehören?

 
 
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