Les pêcheurs de perles. Georges Bizet.
Oper.
Benjamin Pionnier, Louis Désiré, Diego Mendez-Casariego. Theater Orchester Biel Solothurn.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. Februar 2017.
Regisseur Louis Désiré lässt die ganze Oper im selben Bühnenbild abspielen. Auf diese Weise rücken die Dinge zusammen. Die Trennung zwischen den verschiedenen Gesangsnummern und den verschiedenen Akten entfällt. Ein Moment fliesst in den nächsten, das Ganze gewinnt traumartige Intensität.
Das Bühnenbild (Diego Mendez-Casariego) hat die Kraft, die Handlung anderthalb Stunden ohne Pause durchzutragen. Es schafft mit einfachen, aber wirkungsstarken Mitteln ein Innen und ein Aussen. Das wiederum ermöglicht ein Hereinkommen und Hinausgehen, das jedesmal die Qualität eines Auftritts hat. So entfaltet die Inszenierung durch kleinste Veränderungen nachhaltige Wirkungen, die sich in die Musik hinein fortsetzen, von ihr aufgenommen werden und sich zur Arie ausgestalten. Um ein neues Klima herbeizuführen, genügt in diesem subtilen Zusammenspiel von Bühne und Komposition eine Handbewegung, eine Wendung des Kopfs.
Die handwerkliche Intelligenz von Ausstatter und Regisseur zeigt sich auch an der Behandlung des Chors. Obwohl er in der Musik immer wieder zum Einsatz kommt, betritt er die Bühne nie. (Wann hat's so etwas in Biel oder anderswo schon gegeben?) Das Innen und Aussen wächst dadurch aus zum Nah und Fern. So erweist sich Louis Désiré, wie schon in der "Traviata" der letzten Spielzeit, als Subtilitätsgenie.
Sogar die engen Bühnenverhältnisse im kleinsten Stadttheater der Schweiz, an denen die mittleren Talente scheitern, werden hier zum sinnvollen Bestandteil der Inszenierungsidee. Zwischen Rückwand und Dekoration können sich die Choristen nur als Linie aufstellen. Dafür kommt hinter den Lamellenstoren einer nach dem anderen herein, und erst, wenn alle aufgereiht sind wie die Orgelpfeifen, beginnen sie zu singen. Durch diese der Notwendigkeit – oder schon der Kunst? – geschuldete Vorbereitung des Publikums auf den Gesang wächst der Choreinsatz vom konventionellen Accessoire aus zum dramatisch sprechenden Moment. "Es ist sonderbar, dass nur ausserordentliche Menschen die Entdeckungen machen, die hernach so leicht und simpel scheinen; dieses setzt voraus, dass die simpelsten, aber wahren Verhältnisse der Dinge zu bemerken sehr tiefe Kenntnisse nötig sind." (Georg Christoph Lichtenberg.)
Die beiden tiefen Männerstimmen, Bariton (Aram Ohanian) und Bass (Eric Martin-Bonnet), fügen sich gesanglich und spielerisch nahtlos ins Regiekonzept ein. Der Tenor (Manuel Núñez Camelino) eher darstellerisch als gesanglich und die Sopranistin (Angélique Boudeville alternierend mit Ljupka Rac) eher gesanglich als darstellerisch. Aber alle wissen, worum es geht. Und sie stellen sich der Aufgabe mit Ernst, Konzentration und Engagement.
Wieder einmal stehen "Die Perlenfischer" auf dem Prüfstand. Georges Bizet, der spätere "Carmen"-Komponist, hat sie im Alter von 24 Jahren geschrieben. Es war ihm wichtig, hineinzukommen in die Welt des Theaters. Doch blieb ihm, wie wir wissen, der Sieg bis ans Ende seiner Tage versagt. Schon bei den "Perlenfischern" gab er alles, was er musikalisch vorzuweisen hatte, namentlich Kantabilität, Melodik und schmelzenden Fluss. Der Auftritt von Leila hat unzweifelhaft Ohrwurmqualität. Und das Ende jeder Nummer ist so gestaltet, dass der Applaus ungehindert aufrauschen kann.
Das Premierenpublikum in Biel indes nahm nicht jede Gelegenheit wahr, die Hände zu regen. Zu kleinteilig ist der dramaturgische Verlauf, der Gesangsenden sind zu viele, und zu schwach ist das Libretto. Deshalb machten die "Perlenfischer" schon bei der Uraufführung wenig Aufsehen. Das Programmheft zitiert jetzt den Librettisten Eugène Cormon, der die Schuld auf sich nahm, als er, der Überlieferung nach, sagte: "Wenn wir gewusst hätten, wie viel Talent Monsieur Bizet besitzt, hätten wir ihm nie diesen infamen Schinken (cet ours infâme) zur Bearbeitung vorgesetzt."
Die Qualität der Komposition lässt sich im Revisionsverfahren, das Theater Orchester Biel Solothurn vorlegt, nur eingeschränkt ergründen. Denn die Originalpartitur ist verlorengegangen. Von den "Perlenfischern" blieb bloss ein Klavierauszug zurück. Die Fassung, die nachträglich aus ihm gewonnen wurde, wurde, wiederum nachträglich, für kleinere Häuser reduziert. Diese Fassung der Fassung erklingt nun in Biel, ohne dass (wie schon bei "Owen Wingrave" in der letzten Spielzeit) der Name des oder der Bearbeiter genannt würde. Ein bedauerlicher Verstoss gegen die philologische Ehrlichkeit.
Man muss sich jetzt also an das halten, was aus dem Orchestergraben erklingt. Es trägt den Charakter des verantwortungsbewussten und wachen Musizierens, und der "clarté française" kommt der Klang, für den Dirigent Benjamin Pionnier engagiert wurde, beeindruckend nahe. Im letzten Drittel allerdings galoppiert die Dynamik davon. Und sogleich verwandelt die problematische Akustik des kleinen Hauses das Forte, das eigentlich nur "stark" bedeutet, ins plebejische "Laut". Es ist denkbar, dass Pionnier, einmal mit den Verhältnissen von Biel-Solothurn vertraut, die Lautstärke auch auf der Schlussstrecke bändigen wird. Wünschbar jedenfalls ist's.
Das Bühnenbild hat die Kraft, die Handlung durchzutragen.
Obwohl er immer wieder zum Einsatz kommt, betritt der Chor die Bühne nie.
Alle stellen sich der Aufgabe mit Ernst und Engagement.