Elektra. Richard Strauss.
Oper.
Georg Fritzsch, Peter Konwitschny, Hans-Joachim Schlieker. Staatstheater Stuttgart.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Februar 2017.
2005 ist die Inszenierung herausgekommen. Seither wurde sie nur 25 Mal gespielt. Man merkt es ihr an. Der Regiestil (Peter Konwitschny) ist angestaubt, ohne deswegen schon klassisch geworden zu sein. Das Spiel beginnt nach damaliger Mode schon vor Eintritt des Publikums bei offenem Vorhang. Auf der Vorbühne treibt ein Statist in Badehose mit drei Kindern Ulk. Gedacht ist, dass sie eine friedliche samstägliche Badezimmerszene mimen, aber die vier Leute wissen nicht recht, wie sie die Zeit bis zum Abtreten füllen sollen, und so wirkt ihr Spiel bei aller Beflissenheit verkrampft. Gut gemeint halt, aber nicht mehr. Es soll auch bloss die Fallhöhe herstellen zur Katastrophe, die jetzt hereinbricht: Klytämnestra wirft ein Netz über den badenden Mann, und dann wird er mit dem fatalen Beil erschlagen. Blutig sinkt sein Haupt nieder. Die Badewanne wird ans linke Portal geschoben und bleibt dort während der ganzen einaktigen Oper als Mahnmal für die ungerächte Schuld stehen, auch als Dingsymbol für Elektras Idée fixe, dass Orest erscheinen müsste, um jetzt mit dem fatalen Beil den Mörder ihres Vaters hinzurichten.
In diesem Moment setzt das Orchester ein. Auf dem Hintergrundprospekt läuft ab jetzt die Zeit mit roter Digitalanzeige rückwärts, bis der zurückgekommene Orest die verbrecherische Mutter und ihren ebenfalls blutbefleckten Buhlen mit mehreren laut knallenden Pistolenschüssen exekutiert, während Elektra triumphierend das Beil schwingt. Und jetzt läuft die Zeit vorwärts, denn mit dem Moment der vollzogenen Rache wurde die Stunde null erreicht. Die Schuld jedoch ist nicht getilgt, sondern durch die Rache erst recht gesetzt. So füllt sich die Bühne zum orgiastischen Reiz der Straussschen Finalklänge mit hundert Statisten im Gegenwartskostüm, einem Arzt mit weisser Schürze, einem Velokurier, einem Polizisten, einem Bauarbeiter, Männern und Frauen aus dem Volk, alle sind tödlich getroffen und verenden als unschuldige Opfer einer unseligen, nie überwundenen Familienfehde auf den blanken Brettern, die die Welt bedeuten. "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, / Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären." (Schiller)
Auf diese Weise verwirklicht Peter Konwitschnys Inszenierung aus dem Jahr 2005 den damals beliebten Dreiteiler des Regietheaters. Das Werk wird umrahmt von einem stummen Vorspiel und einer ebenfalls stummen Zusatzhandlung, die den Finaljubel in ein kritisches Licht stellt. Dazwischen wird gesungen, gestanden, gesessen, meist in einer Gegenwartsmöblierung, um die Aktualität des Stücks zu unterstreichen. So auch hier. (Bühnenbild und Kostüme: Hans-Joachim Schlieker.) Aber die Premierenbesetzung ist längst weg. Und die Wiederaufnahme wird nicht mehr einstudiert von Peter Konwitschny, sondern von Anne Fugl. Vielleicht erklärt das den approximativen Charakter des Spiels. Messerscharf umrissen und atemberaubend intensiv einzig die Klytämnestra der 69jährigen Doris Soffel. Die Grande Dame schaffte es 1983 von Stuttgart aus nach Bayreuth, London, Berlin, München, Paris und Salzburg. In ihrer Szene zeigen Dirigent und Orchester, dass sie nicht nur schmettern, sondern auch dienen können. Sonst aber legt Georg Fritsch der Dynamik keine Zügel an, und der aufrauschende Orchesterklang überdeckt mitleidlos die schwache Elektra von Rebecca Teem und den noch schwächeren Chor der Mägde. Gut immerhin Simone Schneider als Chrysothemis und sehr gut Shigeo Ishino als Orest. Bei ihm ist, wie auch bei der Soffel, die Diktion makellos, während alle andern ihre Konsonanten vernachlässigen.
An der 25. Vorstellung weist das Ensemble eine Uneinheitlichkeit auf, die der einstige Generalmusikdirektor Lothar Zagrosek an der Premiere nie hingenommen hätte. So erreicht die Stuttgarter Oper – Opernhaus des Jahres 2016 – mit dieser Produktion nur noch Grade C nach Bologna: "Insgesamt gute und solide Arbeit, jedoch mit einigen grundlegenden Fehlern."
Das Gegenwartskostüm soll die Aktualität unterstreichen.