Am Ende übernimmt die vorher unpolitische Mutter die rote Fahne ... © Maurice Korbel.

 

 

 

Wassa Schelesnowa. Maxim Gorki. / Die Mutter. Bertolt Brecht, Hanns Eisler.

Schauspielabend.                  

Tom Kühnel, Viva Schudt. Theater Freiburg.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Februar 2017.

 

 

Der Boden ist mit schwarzweissen Kacheln ausgelegt, und dieses Muster prägt auch den ganzen Abend: schwarz – weiss (Bühne: Viva Schudt). Schwarz ist die Welt der Kapitalistin Wassa Schelesnowa. Sie lässt die Arbeiter schuften. Ihre erwachsenen Kinder sind nichts wert. Der eine Sohn ist ein Krüppel; verbittert, bösartig. Der andere ist ein Poseur und Nichtstuer, der bloss im elterlichen Haus herumhockt und auf den Tod des Vaters wartet, um sich seinen Traum zu verwirklichen: Ein Schmuckgeschäft in der Stadt.

 

Wie verkommen das Geschlecht der Schelesnows ist, führt Regisseur Tom Kühnel mitleidlos vor, indem er die Schauspieler im arg zusammengestrichenen Stück zum Gestus der Pubertät anhält. Sie ziehen beleidigte Schnuten, nölen herum, treten sich in die Eier, fassen sich am Haar, prügeln sich am Boden wie die Rangen einer Neuköllner Kita. Ihre Stimmen sind weinerlich, gelangweilt, klagend, aufbegehrend, krächzend, wimmernd, kreischend, aber nie ernsthaft, ausser in den Momenten, wo von Geld die Rede ist. Da sprechen sie kurz, hart, sachlich, um nach wenigen Sätzen wieder in die Imbezillität von Barbie und Ken zurückzufallen. Zur unerwachsenen Verhaltensweise gehört das unartikulierte Sprechen. Hundert Mal müsste ein kuraschierter Zuschauer während der Aufführung dazwischenrufen: "Sprecht deutlicher! Man versteht euch nicht!" Aber keiner der Bürger protestiert gegen die hämische Demontage der Unternehmer­klasse, obwohl doch die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ein angesehenes Institut für Wirtschaftswissenschaften hat, das die Schelesnows unserer Zeit mit dem Rüstzeug für effizientes Management versieht. Der Regisseur aber liebt seine kapitalistischen Figuren nicht. Darum macht er sie lächerlich und inszeniert das Stück im Stil der Verunglimpfung. Für diesen Zweck genügt ein einziger Farbton: Schwarz.

 

Im Sinn der dialektischen Konsequenz verfährt die Inszenierung fürs Gegenstück des Abends, Brechts "Mutter", im Stil der ungehemmten Affirmation. Die Geschichte der Arbeitermutter, die ihren Sohn an die Kommunisten verliert und am Ende für den Erschossenen die rote Fahne weiterträgt, wird, unter Zuzug des ORSO-Chors Freiburg, werktreu als szenische Kantate dargeboten (Musik: Hanns Eisler). Und die Schauspieler zeigen jetzt Ernst, Respekt vor den Figuren und Engagement. Im Zuschauerraum kommt derweil Andacht, Ergriffenheit und am Ende gar Überzeugung auf: "Ja, es gibt eine gute Sache, für die es sich zu sterben lohnt!" Ganz schlicht und verständlich trägt die vorhin noch görenhaft-unreife Darstellerin der Wassa jetzt als Mutter das "Lob des Kommunismus" vor:

 

"Er ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist leicht.

Du bist doch kein Ausbeuter, du kannst ihn begreifen.

Er ist gut für dich, erkundige dich nach ihm.

Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig.

Er ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit.

Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen

Wir aber wissen:

Er ist das Ende der Verbrechen.

Er ist keine Tollheit, sondern

Das Ende der Tollheit.

Er ist nicht das Chaos

Sondern die Ordnung.

Er ist das Einfache

Das schwer zu machen ist."

 

Wenn jetzt Anmeldebögen für den Beitritt herumgereicht würden, man würde sich der Partei ohne zu überlegen in die Arme werfen.

 

So oszilliert der Doppelabend zwischen Schwarz und Weiss, Abstossung und Anziehung, Eigennutz - Solidarität, schlechte Sache – gute Sache, Dekonstruktion – Affirmation, und nolens volens wird der Zuschauer dabei an die letzte Wahrheit geführt, die Walther Killy nicht müde wurde zu betonen: "Schwierige Sachen sind schwierig."

... denn der Kommunismus ist "das Ende der Tollheit".

 
 
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