Orfeo ed Euridice. Christoph Willibald Gluck./The Orphic Moment. Matthew Aucoin.
Oper./Szenische Kantate
Matthew Aucoin, Douglas Fitch. Salzburger Landestheater.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 26. Januar 2017.
Das Problem bei Glucks Oper "Orfeo ed Euridice" liegt darin, dass nichts läuft. Die Handlung rückt, wie seinerzeit beim Diavortrag, nur zwischen den Bildern vor. Dann bleibt sie stehen. Zuerst sieht man, wie das Volk die tote Euridice betrauert. Dann kommt Orpheus dazu und trägt seine Klage vor. Dann tritt Amor auf und verkündet, dass die Götter dem Hinterbliebenen den Gang in den Hades gestatten, damit er die Verblichene ins Leben zurückholen kann. Dann kommt er unten an, und die Höllengeister bellen ihn an. Dann kommt es zum Wiedersehen mit Eurydike. Dann und dann und dann ... Die Handlung wird erzählt wie seinerzeit im Erlebnisaufsatz für die Primarschule. Ist ein Bild erreicht, wird gesungen; in endlosen Wiederholungen; immer dasselbe. Die Übertitelungsanlage bleibt minutenlang stehen.
Auf heutige Gemüter, die schon durch PowerPoint mit Animation verwöhnt worden sind, wirkt die Statik des alten Diavortrags – und erst recht die Unbeweglichkeit der uralten Barockoper – fad. Und so legt nun Regisseur Douglas Fitch seine ganze Sorge darauf, dass auf der Szene immer etwas läuft, egal mit welchen Mitteln: Lichtwechsel, chorisches Schreiten, Verschiebung von Bühnenbildelementen in der Horizontalen und Vertikalen. Zuweilen kommen die Arme der hilfreichen Bühnenarbeiter ungewollt ins Blickfeld des Zuschauers, wodurch ihm aufgeht: Ja, da wird gearbeitet!
Erstaunlich, wie viel dem Regisseur für eine Spieldauer von anderthalb Stunden einfällt. Das Disparate - von unterschiedlichem Gewicht punkto Stringenz und Evidenz - wird zusammengehalten vom Willen, dem Auge des Publikums immer etwas Hübsches zu bieten. Damit verlässt die Aufführung in keiner Minute das Brackwasser der designerhaften Oberflächlichkeit.
Die Sänger sind unterschiedlich. Das bringt als erstes der Chor schmerzhaft zu Gehör. Dann haben wir die Riesenrolle des Orpheus. Heute leider nicht mehr von einem Kastraten vorgetragen, sondern von einem Countertenor. Das ist nicht dasselbe. Woran es klemmt, merkt man, wenn Anthony Roth Costanzo als Orfeo und Laura Nicorescu als Euridice zusammen singen. Da findet sich bei ihm untadelige Technik und ein schönes hohes Piano, dessen Verhauchen innig berührt. Aber bei ihr ist in der selben Nummer nicht nur rigide, ausstrahlungslose Schönheit zu hören (gesangliches Botox halt), sondern von innen her erfüllte, belebte Rede. Das kann kein Countertenor leisten. Darum wurde die Partie von Gluck auch nicht für einen Countertenor geschrieben, sondern für einen Kastraten.
Vorausgeschickt wird der Barockoper eine szenische Kantate, die der Dirigent des Abends, Matthew Aucoin, geschrieben hat. Wie immer, wenn es um Geschmacksdinge geht, kann man sich fragen, ob es gescheit war, die neue Musik der alten voranzustellen. Für mich ist Aucoin interessanter als Gluck. Hätte man ihn ans Ende gestellt, hätte die Linie nach oben geführt statt nach unten.
Und womöglich haben die amerikanischen Kollegen recht, die das Salzburger Landestheater in seinen Presseunterlagen zitiert: "Geboren 1990, gilt Aucoin als Wunderkind unter den amerikanischen Komponisten, die New York Times nannte ihn 'die grosse Hoffnung der Oper', das Wall Street Journal bezeichnete ihn gar als den 'neuen Leonard Bernstein'." – Unter der Leitung des jungen Genies spielt das Mozarteumorchester Salzburg mehr als nur anständig, gerade in Aucoins eigener Komposition "The Orphic Moment". Auch wenn der Text, vom Komponisten selbst verbrochen, mit dem gestelzten Ernst aller Selbsterfahrungsprosa daherkommt und die Musik wohl anders klingen würde, hätte es Britten, Glass und Reich nicht gegeben, verabschiedet man sich von der Kantate wie der Orpheus des 21. Jahrhunderts von Eurydike mit (so wörtlich) "postkoitalem Glanz in den Augen".
Dann tritt Amor auf und verkündet ...
... dass die Verblichene ins Leben zurückdarf ...
... immer hübsch fürs Zuschauerauge.