Endspiel. Samuel Beckett.
Schauspiel.
Johannes Lepper. Konzert Theater Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. Dezember 2016.
Die Berner Premiere war die letzte. Jetzt läuft in allen drei deutschsprachigen Hauptstädten das "Endspiel". In Wien geben sie's werktreu. Hamms Sessel hat die verlangten Röllchen. In Berlin dagegen kommt das Stück als Musical daher. Weit weg von Beckett, dafür mit Schmiss. Bern liegt dazwischen. Meist eng am Text, aber mit Abweichungen.
Der Bootshaken zum Beispiel ist gestrichen. Man vermisst ihn nicht. Nagg und Nell sind gestrichen. Das ist folgenreicher. Der Eingriff bringt die Aufführung um einen Gipfelpunkt des zynischen Humors, wenn nicht um mehr. Zur Entschädigung kommt in Johannes Leppers Inszenierung das eine oder andere dazu. Doch was dazukommt, ist daneben.
Das beginnt mit dem fünfzigjährigen Spulentonbandgerät der Marke Revox, das neben der Spielfläche steht und in einer Art Endlosschlaufe den ewiggleichen Verschnitt von Tonfetzen bringt, während das Publikum seine Plätze aufsucht. Eine Tsunami-Warnung ist da zu hören. Und Donald Trump: "When I am president ..." So wird in den kleinen Raum von Vidmar 2 die Aussenwelt hereinzitiert, die erklärlich macht, wie es zum Zustand kam, in dem das "Endspiel" abläuft, wenn Clov auf die Stop-Taste gedrückt hat.
Die Idee, die "Aktualität", ja warum nicht gar die "politische Relevanz" von Becketts Klassiker durch Verweis auf die amerikanischen Wahlen herauszustreichen, entspricht dem, was die Franzosen "une fausse bonne idée" nennen und beim Theater verabscheuen.
Während der Aufführung kommt das Tonband wieder ins Spiel. Das erste Mal bringt es die Introduktion des Donauwalzers mit ihren flirrenden Streichertönen. Und da zeigt sich: In Becketts "Innenraum ohne Möbel", der bloss erhellt wird von "trübem Licht", ist Johann Strauss stärker als das Stück, stärker als Hamm, stärker als Clov. Die Grazie, Leichtigkeit und Eleganz der "schönen blauen Donau" verführen den Zuschauer dazu, das Spiel in Gedanken zu verlassen. Damit tut sich in der Inszenierung ein Bruch auf. Vielleicht gar ein Ausweg. Sicher gewollt. Musikhören als eskapistische Handlung. Warum nicht? Trotzdem: "Une fausse bonne idée".
Das zweite Mal kommen ab Band die "alten Kameraden" von Carl Teike. Die flotte Marschmusik reisst Hamms Arm reflexartig nach oben, und die aufgehobene Rechte formiert sich zum Hitlergruss. Ach ja, beinah hätten wir die politische Relevanz des "Endspiels" vergessen. Gleichwohl: "Quelle fausse bonne idée!"
So ist die Aufführung, wie sich im Lauf des Abends zeigt, immer dann daneben, wenn sie daneben ist. Das gilt auch für Arne Lenks Clov. Wenn er sich lautlos verabschiedet hat und jetzt "in der Nähe der Tür reglos und teilnahmslos bis zum Ende stehen" bleibt, wirkt er so stark wie vorher nie. Denn jetzt macht er nichts mehr. Jetzt steht er einfach da. Und obwohl er in der Haltung des Gehens steht, ist er "drin", im Stück und in der Figur. Sein fahles Gesicht und seine stumme Anwesenheit bilden ein starkes Fragezeichen zu Hamms eindringlichem Schlussmonolog, und gleichzeitig bleibt das Ende des "Endspiels", wie von seinem Autor gewollt, in der Schwebe.
Aber damit ist in Bern die Aufführung nicht fertig. Jetzt bekommt noch die grosse Glühfadenbirne, die den ganzen Abend im Hintergrund vor sich hindämmerte, ihren Auftritt und beginnt immer heller zu leuchten. So stellt man sich vor, dass es dereinst mit der Sonne zuende gehen wird. Ein aufglühender Feuerball - und dann Schluss. Wenn das die Idee war, habe ich sie begriffen. Aber wozu?
Vor dem Ende aber, wenn Arne Lenk agiert und spricht, drücken seine Gebärden, sein Gesicht und seine Sprechweise nur eines aus: Protest. Zunächst den Protest der Figur gegen Hamms Tyrannei. Darum knallt er die Tür immer so zu, dass die Wand zittert. Zum Glück sind Wand und Tür aus Metall. (Bühne: ebenfalls Johannes Lepper.) Arne Lenk aber protestiert mit seinem aufgesetzten Spiel auch gegen die Figur. Das heisst: Er steht nicht zu Clov. Er steht daneben. Der Bruch ist sicher gewollt. Aber wozu?
Als Kontrast? Stéphane Maeder, der den Hamm verkörpert, ist jetzt ohne Partner. Oder sagen wir genauer: Ohne gleichrangigen Partner. So verwandelt sich in dieser Berner Aufführung, gewollt oder ungewollt, Hamms Einsamkeit auf dem hohen Stuhl zur einsamen Spitze. Immer wieder kommt dabei der Gedanke auf: Stéphane Maeder hat ein Leben lang auf diese Rolle gewartet. Und in dieser Zeit ist sie in ihn hineingewachsen. Und er in sie. Nun zeigt sein Spiel, was in ihnen beiden steckt, in der Figur und im Schauspieler. Eine theatralische Sternstunde. Ich hab' schon manchen Hamm gesehen. Aber keinen besseren. Ich stell' ihn sogar über den von Gerd Voss. - Um der Gestalt von Hamm in Stéphane Maeders facettenreicher, intensiver Darstellung von zu begegnen, lohnt es sich, von weitem her in die Könizer Vidmar-Hallen zu fahren.
Arne Lenk (links) protestiert mit seinem aufgesetzten Spiel gegen die Figur.
Stéphane Maeder ist in seiner facettenreichen Darstellung ohne gleichrangigen Partner.