Nun leitet ein kommender Mann den Klangkörper. © Tim Theo Deceuninck.

 

 

 

Die schöne Melusine/Violinkonzert. Felix Mendelssohn.

Symphonie Nr. 7. Ludwig van Beethoven.

Sinfonische Musik.                  

Jakob Lehmann. Anima Eterna Brügge im Auditorium von Dijon.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 26. November 2016.

 

 

Der – früher – übliche Dreiteiler: Ouvertüre, Solokonzert, Sinfonie. Die Musiker tragen dazu den – früher – üblichen Frack. Unüblich aber ist, dass diesmal nicht Jos van Immerseel am Pult steht. Er hat den Stab in andere Hände gelegt. Das hat es in der Geschichte von Anima Eterna, die bis 1987 zurückreicht, noch nie gegeben. Nun aber leitet anstelle des 70jährigen Orchestergründers und Meisters ein kommender Mann den Klangkörper: der 25jährige Jakob Lehmann aus Berlin. - 2015 trat er als Konzertmeister bei Anima Eterna ein. Zur Zeit befindet er sich in seinem letzten Studienjahr an der Universität der Künste Berlin bei Prof. Michael Erxleben. Und noch bevor er den akademischen Master erworben hat, darf er ein Projektorchester leiten, dessen Reputation alle fünf Kontinente erreicht hat. Jos van Immerseel aber hat die Absicht, in den kommenden Jahren eine Reihe von jungen Kräften zu erproben und bei Eignung ans Orchester zu binden. Jakob Lehmann ist der erste, der als Gastdirigent auftreten darf. In Dijon und Brügge machte er gestern und vorgestern mit dem klassischen Dreiteiler den Auftakt: Ouvertüre, Solokonzert, Sinfonie.

 

Grundlage für Lehmanns Interpretation der "Ouvertüre zur schönen Melusine" von Felix Mendelssohn bildet die Tatsache, dass es sich bei diesem Stück um eine Ouvertüre handelt. Also um eine Musik, die auf eine Handlung blickt, wenn auch in geraffter Form. Sie erzählt in einer Abfolge von Bildern, wie zwei unterschiedliche Wesen zueinander streben und doch nicht zueinander finden, weil sie zwei unterschiedlichen Welten angehören. Eine typisch romantische Konstellation. Jakob Lehmann betont das Drama, das in der unerfüllbaren Liebessehnsucht zwischen Wassernixe und Mensch abrollt. Statt impressionistischem Klanggeflirre bringt Anima Eterna den Ausdruck von Schmerz und Vergeblichkeit. Ein beachtlicher Einstieg.

 

Noch fesselnder sodann die Interpretation des Violinkonzerts von Felix Mendelssohn. Das Drama, das die Ouvertüre noch in knappen Bildern umriss, durchlebt jetzt die rauhe, jubelnde, energisch vorwärtsdrängende, dann wieder kokett arpeggierende Geige von Chouchane Siranossian in drei Sätzen, die zu einem grossen, durchgehenden Bogen verschmelzen, so dass die Wassernixe, will sagen: Chouchane Siranossian in charaktervollem, ausdrucksreichem Spiel die wechselvolle Tonlandschaft durchwandert, die ihr das Orchester konzis an die Seite stellt (einige Wackler im dritten Satz ausgenommen). Im Sinn der Interpretationsgeschichte von Anima Eterna zeichnet Jakob Lehmann die Romantik nicht als diffuse Konturlosigkeit, sondern als emotional zwar belebtes, aber stets gefasstes musikalisches Geschehen.

 

Diese Auffassung führt bei Beethovens 7. Symphonie zu einer schlanken Ausdrucksweise, die den unerbittlichen Takt-Schlag der Partitur unterstreicht. Jakob Lehmann ignoriert dabei alle Gelegenheiten zu Expressivität und Pathos im - früher - üblichen Stil und hält stattdessen das Orchester zu nüchterner Schärfe an. Eine ältere Musikkritik würde ihm deswegen Oberflächlichkeit und mangelnde Beseelung vorwerfen. Das Publikum aber, das seit langem mit dem Spiel seines "orchestra in residence" vertraut ist, jubelt. Beim Auftritt in Dijon ist der kommende Mann unüberhörbar bei seinen Zuhörern angekommen.

... die Wassernixe, will sagen: Chouchane Siranossian ... © Pressiana Petia.

 
 
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