Das Bühnenbild macht die Gesellschaftsebenen augenfällig. © Annette Boutellier.

 

 

 

Katzelmacher. Rainer Werner Fassbinder.

Schauspiel.                  

Claudia Meyer, Aurel Lenfert. Konzert Theater Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 29. Oktober 2016.

 

 

Die Kiste, die Aurel Lenfert auf die Bühne stellt, ist nur in einer Farbe gehalten: rosa. Also in der Farbe der kleinen Mädchen. In der Farbe der Schwulen. In der Farbe der Konditoreien. In der Farbe des naiven Optimismus. Das Rosa, in dem die Kiste gehalten ist, strahlt demnach aus in verschiedene Dimensionen. Und die Bühne, die aus einem einzigen visuellen Element besteht, eben der Farbe, entspricht ihrerseits der Faktur der Inszenierung. Beide schaffen Intensität durch Reduktion, Öffnung durch Bündelung. Diese Gratwanderung ist nur zu schaffen durch Konzentration, Aufmerksamkeit und Kraft. Das Ensemble bringt die erforderlichen Qualitäten mit und hebt dadurch die Berner Aufführung von Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher" auf die Höhe der exzeptionellen Theaterabende.

 

Das Bühnenbild, das mit der Farbe Rosa schon so viel sagt, spricht nun aber auch durch seine minimalistische Raumaufteilung. Es halbiert die Bühne in eine obere und untere Ebene und macht damit die Gesellschaftsebenen der Oberen und der Unteren augenfällig. Unten: Die Ebene des Fremdarbeiters. ("Man sagt jetzt Gastarbeiter!") Oben: Die Ebene der Einheimischen, die deswegen noch lange nicht zur oberen Schicht gehören. Durch Sprache und Mentalität geben sie sich ihrerseits als Angehörige der Unterschicht zu erkennen. Der Konflikt also, den das Stück entfaltet, spielt sich auf den beiden untersten Ebenen der Gesellschaftspyramide ab. Für die Darstellung der oberen Schichten müsste zuerst der Deckel der Kiste, danach das Dach der Vidmarhalle durchstossen werden, um die szenische Einrichtung bis auf die Höhe der Münsterspitze verlängern zu können. Im "Katzelmacher" sind wir erst am Grund. Aber der ist schon schaurig genug.

 

Nun spielt Aurel Lenferts reduktionistisches Bühnenbild jedoch nicht nur mit Farbe und Vertikalität, sondern für den eindrücklichen Schluss bezieht es auch die Dimension der Horizontalität ins Spiel mit ein. Am Ende der Aufführung wird nämlich die obere Ebene, die auf diese Weise den Charakter eines Podests annimmt, nach vorn gefahren, und der Raum des Fremdarbeiters verengt sich zusehends, bis der arme Mann weggedrängt und weggestossen wird ins Nichts.

 

Die Ökonomie der Mittel verbindet das Bühnenbild mit Claudia Meyers Inszenierung. Deren Kennzeichen ist die Verlängerung charakteristischer Gebärden und Haltungen bis hinein in die Abstraktion. Das gibt der Aufführung etwas Anziehend-Spielerisches, und das Figurenballett erhält den Charakter des Akrobatischen, ja gar Ästhetischen. In der schicken Kombination von Glitzerkostümen und schönen, wohlgebauten, erotisch ansprechenden Körpern entfaltet die dumpfe Unterschichtssprache, in der sich Fassbinders Personen ausdrücken, erst ihre volle Tragweite, und die rosarote Kiste erweist sich als ausweglose Hölle der Hyliker. Mit diesem Namen bezeichnete die Gnosis die ganz an die Materie gebundenen Menschen, die nicht zur Erkenntnis (und folglich auch nicht zur Selbsterkenntnis und zur Erkenntnis ihrer Lage) fähig sind.

 

Dafür schrieb Claudia Meyer eine aufregend intensive körpersprachliche Partitur im Sinne Arnold Schönbergs, der sich "vielleicht als erster", wie er sagt, "von der Ausdrucksmusik abgewendet hat". Die Inszenierung hebt also die Handlung von der Ebene der realistischen Abbildung, die dem Film gemäss ist, auf die Ebene der Abstraktion, die dem Theater zukommt. Hier ist erklärtermassen nichts echt. Darum ist die Bühne gezwungen, mit Zeichen und Andeutungen zu reden. Mit ihrem Konzept der Reduktion nimmt Claudia Meyer mithin den Charakter des Theaters beeindruckend und wirkungsvoll ernst. Und mit der Entwicklung einer neuen, transrealistischen Sprache entsteht aus dem Berner "Katzelmacher" ein eigenständiges szenisches Kunstwerk.

 

Damit das entstehen kann, darf das Ensemble keine Schwächen haben, weder sprachlich noch gestisch noch mimisch. Die Darsteller bringen diese Gleichmässigkeit der Leistung zuwege. Alle ordnen sich ins Ganze ein. Und alle sind in eigentümlicher Weise hervorragend. So auch das Ausnahmetalent Michael Wilhelmi, der gleichzeitig eine Figur und das Klavier spielt, mit dem er seine Komposition zum Klingen bringt, die das szenische Geschehen unterstützt und das Einheitsbühnenbild durch einen aufgewühlten Klangraum auf neue Dimensionen hin öffnet. So macht das konsequente Konzept einer überlegenen Dialektik Claudia Meyers mutige und gescheite Inszenierung zum Ereignis.

Das Figurenballett hat den Charakter des Akrobatischen, ja gar Ästhetischen.

 
 
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