Hoffmanns Erzählungen. Jacques Offenbach.
Oper.
Gerrit Priessnitz, Renaud Doucet, André Barbe. Volksoper Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 28. Oktober 2016.
Wenn sich die Provinzialität daran ablesen lässt, mit wieviel Minuten Verspätung eine Aufführung beginnt, so ist die Volksoper zur Zeit das professionellste Theater in Wien. Sympathisch auch, dass der Direktor des Hauses, Kammerschauspieler Robert Meyer, höchstselbst auf dem Band zu hören ist, das die Zuhörer zu Beginn der Vorstellung begrüsst und sie bittet, "Ihre Mobiltelefone auszuschalten".
Kaum aber intoniert das Orchester die Anfangstakte der Oper, wird es schon unterbrochen. Der Teufel höchstselbst erscheint und wehrt sich gegen die Aufführung von "Hoffmanns Erzählungen". In seiner Opéra bouffe "Orpheus in der Unterwelt" habe ihn Jacques Offenbach verharmlost und verspottet. Darum kämpfe er jetzt mit allen Mitteln gegen das Werk. Tatsächlich brannte am 8. Dezember 1881 das Wiener Ringtheater vor der zweiten Aufführung von "Hoffmanns Erzählungen" vollständig nieder. Vierhundert Tote waren zu beklagen. Seither werden Theater nur noch freistehend gebaut.
Sechs Jahre später, am 25. Mai 1887, brannte die Opéra-Comique in Paris nieder. Dabei wurde das Orchestermaterial der "Contes d'Hoffmann" zerstört. Seither ist jede Aufführung der Oper der Versuch einer Rekonstruktion. Regisseur Renaud Doucet und Bühnenbildner André Barbe thematisieren die Lage des Werks, indem sie das Vorspiel (Lutters Weinkeller) behelfsmässig in den Brandruinen eines Theaters ablaufen lassen. Das gibt der Aufführung den Charakter des unbeugsamen Trotzes, wenn auch das Tempo, das Gerrit Priessnitz anschlägt, etwas behäbig ist. Aber angesprochen ist hier schon der Gegensatz von Schaffen und Zerstören, der das ganze Werk durchzieht.
Die Gegenspieler sind gut; sie packen durch Ausstrahlung, Stimme und Spiel. Mirko Roschkowski hat als Hoffmann rührende Momente. In der Höhe und im Piano wirkt seine Darstellung gar innig und erreicht damit eine Qualität, die der Romantik der Rolle gerecht wird. Gegenüber dem jugendlichen, auch physiognomisch weichlichen Poeten ist der Teufel ein energischer Herr im besten Alter. Jochen Kupfer gibt ihm, auch gesanglich, Prägnanz und scharfkantige Entschlossenheit.
Nach diesem markanten Anfang jedoch wächst die Produktion zunehmend ins Breite. Übernahmen aus dem Fundus der Bildideen, die Robert Carsen schon vor Jahren auf die französische Bühne gebracht hat, hübschen die Ideenlosigkeit des Produktionsteams auf, bringen sie aber nicht zum Verschwinden. Carsens Eislandschaft aus der Genfer "Bohème" erscheint jetzt im Antonia-Akt, und sein System der mobilen Theatersitze aus dem Pariser "Hoffmann" wird im Venedig-Akt wiederverwendet. Hier steigert sich die Opulenz bis zum Kitsch.
Das kann man Gerrit Priessnitz' Dirigat nicht nachsagen. Er führt Orchester und Sänger mit eiserner Hand. Unter dieser Härte aber kommt kein Puls in die lyrischen Stellen, und die dramatischen Momente werden bloss laut statt packend. Insgesamt also eine gute, dem Ruf der Volksoper angemessene Aufführung, die aber einmal mehr beweist, dass wahre Inspiration nur ausserhalb der Konventionalität zu finden ist.
Die Opulenz steigert sich bis zum Kitsch.