Verklärte Nacht/Pierrot lunaire. Arnold Schönberg.

Ballett/Inszenierung.                  

Steffen Fuchs/Inga Schulte. Theater Koblenz.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 29. Februar 2016.

 

 

Zu berichten ist von einem Versagen. Das Theater Koblenz bringt zwei Werke von Arnold Schönberg zur Premiere: "Verklärte Nacht" und "Pierrot lunaire". Es geht dafür aus dem Stammhaus in die Industriebrache jenseits der Mosel, wo in einem stillgelegten Produktionsgebäude die Kulturfabrik (Kufa) betrieben wird, eine Spielstätte fürs Exquisite und Experimentelle - und das Jugendtheater. Für den Vortrag der 21 Gedichte aus Albert Girauds "Pierrot lunaire" steht nicht nur eine Sängerin auf der Gagenliste, sondern auch eine weibliche Figur im Pierrot-Kostüm, wie von der Bestellerin des Werks, der Diseuse Albertine Zehme, verlangt. Dazu beschäftigt die Regisseurin Inga Schulte auch ein Tänzerpaar aus dem vorangehenden Ballett von Steffen Fuchs weiter, in dem fünf Kräfte einen choreographischen Beitrag zu Richard Dehmels Gedicht "Verklärte Nacht" und zu Schönbergs Streichsextett op. 4 formulierten.

 

Das Publikum von Freunden und Kennern, das an der Premiere zugegen ist, übertönt am Ende die vielen leeren Zuschauersitze mit jaulenden Begeisterungsrufen und lang anhaltendem Applaus. In der Mitte des Geschehens aber sitzt der Kritiker aus Bümpliz und der Welt und konstatiert sein Versagen. Redlich, nein: krampfhaft bemüht, das Dargebotene aufzunehmen, sah er sich immer wieder zurückverwiesen auf die Begrenztheit seines Denkvermögens, seiner Aufnahmefähigkeit und Sensibilität. Er verstand nicht, was Anne Catherine Wagner sang, und er verstand nicht, was die fünfköpfige Company tanzte. Die Künstler hätten "immer wieder starke Momente" angestrebt, erklärte später ein Experte, der an verschiedenen Theaterhochschulen das Regiefach unterrichtet. In seiner Einfalt hatte der Kritiker nur wahrgenommen, was nicht zusammenstimmte: Die Einsätze der Streicher, die Bewegungen der Tänzer. Die eine Balletteuse fuhr ihrem Partner mit dem Fuss in den Schritt, die andere in die Kniekehle. Der Kritiker erkannte in dieser Divergenz kein Konzept, sondern bloss einen Mangel an Präzision. Und im Hiatus zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem Duktus der Komposition sah er blosse Beliebigkeit statt künstlerische Zeichen einer autonom gesetzten theatralen Wirklichkeit.

 

Offensichtlich ist sein Theaterverständnis zurückgeblieben auf der Stufe Max Beerbohms, der 1900 anlässlich eines Gastspiels von Eleonora Duse im Lyceum-Theater London statuiert hatte: "Die Technik des Spielens liegt in der guten Beziehung zwischen Stimme, Gestik und Gesichtsausdruck. Wenn Sie nicht verstehen, worum es geht, können Sie kein Urteil über die Technik des Schauspielers abgeben. Sie schauen hin, und Sie sehen gewisse Vorgänge im Gesicht und in den Händen des Schauspielers, und Sie hören gewisse Veränderungen in seiner Stimme, aber ich streite Ihnen ab zu wissen, ob es die richtigen Vorgänge, die richtigen Veränderungen sind. Sie müssen es auf blossen Glauben hin annehmen."

 

Die szenische Umsetzung der beiden Schönberg-Kompositionen machte deutlich, wie überholt eine solche Auffassungsweise ist. "Wir Theaterleute haben Glück", erklärte kürzlich am Telefon der frühere Direktor der Pariser Oper Hugues Gall. "Egal, wie schlecht eine Produktion ist, es finden sich immer noch Kritiker, die sie gut finden." Die "Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt" gehört nicht zu ihnen. Das hat sich in Koblenz wieder mal gezeigt.

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