Urologie. Wolfgang Mörth.
Schauspiel.
Theater Kosmos, Bregenz.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. Januar 2016.
Eine halbe Bahnstunde nach Rorschach kommt schon das erste österreichische Landestheater. Vielleicht liegt in dieser Nachbarschaft der Grund, warum das Theater für den Vorarlberg in den siebziger und achtziger Jahren nacheinander von zwei Schweizern geleitet wurde: Von Alex Freihart zunächst, dann von Bruno Felix. Die beiden Landsleute kamen auf den Gedanken, die Produktionskosten an ihren Häusern mit Austauschgastspielen zu senken. Fortan gab das Städtebundtheater Biel-Solothurn einmal im Jahr eine Serie von Vorstellungen in Bregenz, und die Vorarlberger gastierten derweil am Jurasüdfuss.
Nach acht Jahren wurde ich im "Bieler Tagblatt" 1980 grundsätzlich: "Der Sinn der Austauschgastspiele mit dem Theater für den Vorarlberg wird, je länger das Experiment dauert, desto zweifelhafter. Noch nie habe ich von dieser Bühne etwas gesehen, das spontan überzeugt hätte. - Wie lange soll das noch dauern? Wenn schon Austauschgastspiele – warum ausgerechnet dieses Theater, das uns, gesamthaft gesehen, so wenig gebracht hat? Was ist der Beweggrund, diese Bühne jedem andern der etwa 300 deutschsprachigen Theater vorzuziehen? Etwa das Geld? Liegt es daran, dass uns kein anderes Theater so billig käme? Wenn das die Antwort wäre – dann scheint mir, ist selbst das wenige, das wir zahlen, noch zu viel."
Die Rache liess auf sich warten. Aber das Vorarlberger Landestheater hat ein langes Gedächtnis. 35 Jahren später kam die Retourkutsche. Fürs erste Januarwochendende 2016 setzte Intendant Alexander Kubelka alle Vorstellungen aus, und zur Sicherheit liess er auch die Post aus Bümpliz und der Welt unbeantwortet.
Doch der Festspielort am Bodensee hat noch eine zweite Spielstätte: das Theater Kosmos, über das der Fremdenverkehrsverband nur Gutes zu sagen weiss: "Hochwertige Umsetzungen moderner, zeitgenössischer Stücke". Während das Vorarlberger Landestheater spielfrei hat, brummt im "Kosmos" der Laden. Das Stück trägt zwar die Gattungsbezeichnung "Uraufführung", doch sind in der achten Vorstellung alle 158 Plätze ausverkauft. Ja das Publikum ist so pünktlich, dass das Spiel schon fünf Minuten vor der angekündigten Zeit beginnen könnte.
Autor, Regisseur und Schauspieler sind – wie beim Vereinstheater üblich - vom Ort. Und das kommt bei den Zuschauern, die gewillt sind, sich um jeden Preis zu amüsieren, gut an; zumal es im Stück, das den ominösen Titel "Urologie" trägt, um das beste Stück des Mannes geht. Das "Stück" hängt auch, geschmückt mit einer roten Masche, herunter von Plakaten und Programmheftumschlägen.
Das Stück führt uns in ein Krankenzimmer mit drei Patienten: einem Gymnasiasten mit Phimose, einem 55jährigen Regisseur mit Blasenentzündung und einem 78jährigen Pensionisten mit Prostatakrebs. Ausserdem begegnen wir einer feschen dreissigjährigen Frau Doktor und einem jungen Krankenpfleger, der auf sie steht. Und nun kann's losgehen mit Kathetern, Urinbeuteln und nackten Männerbeinen. Das Publikum fasst grundsätzlich jeden Satz als Pointe auf. So gluckst oder kichert während zwei Stunden ständig jemand im Saal.
Dem Kritiker fällt auf: Je jünger die Schauspieler sind, desto schlechter können sie sprechen. Am verständlichsten ist der älteste, ein langjähriges, jetzt pensioniertes Mitglied der Josefstadt (Herbert Pendl). Ihm gelingt es sogar, einen Menschen anzudeuten, wo die andern bloss Schablonen auf die Bühne bringen. Weil das Stück aber dramaturgisch auf schwachen Beinen steht, findet es im wahrsten Sinn des Wortes kein gutes Ende. "Der Ausgang wirkt herbeigezwungen", berichten die Gefährten des Kritikers, die im Saal geblieben sind. Gleichwohl soll der Applaus herzlich ausgefallen sein. Und
Wolfgang Mörth, der Autor der Kalauersammlung, erhielt 2014 den Heidelberger Theaterpreis. Ob sich darin eine Trendwende im Gegenwartstheater abzeichnet?