Hanns Dieter Hüsch.
Kabarett.
Gastspiel im Théâtre de Poche, Biel.
Bieler Tagblatt, 27. Oktober 1971.
Hüsch im de Poche bestohlen
Anfangs der fünfziger Jahre begann Hüsch mit seinem Kabarett, und er dürfte mittlerweile zum dienstältesten und renommiertesten enfant terrible Deutschlands aufgerückt sein. Allein, was er am Montagabend bot, wog leicht und erfüllte die – nach Kittner und von Manger gesteigerten – Ansprüche an gutes Kabarett kaum. Natürlich hat Hüsch Verdienste: Er ist ein glänzender Beobachter, er hat Sinn fürs bezeichnende Detail, seine gestochen scharfen Aperçus zeugen von literarischem Talent, das allerdings just zu seiner Gefahr wird.
Hüsch schreibt alles, was ihm auffällt, fein säuberlich nieder, verarbeitet es zu einem kunstvoll verschlungenen Sprachgebilde, das er dann mit grosser Übung und Sorgfalt vorliest, um ja nichts unter den Tisch fallen zu lassen. Dabei aber zieht er sich vom Zuschauer zurück. Der Kabarettist arbeitet somit nicht mehr für (oder gegen) das Publikum, sondern für die Literatur. Das, was er bringt, erhält somit den Anstrich des Erhabenen, es ist selig in sich selbst, sprüht von Geist, aber packt nicht, ist nicht mehr frisch.
Die Endgültigkeit des Geschriebenen, das Sich-selber-Ernstnehmen Hüschs bewirken eine starre Distanz zum Publikum, die gerade beim Kabarett nicht aufkommen dürfte. Hüschs Vortragsweise wirkt hölzern, er ist unnahbar, seine Weisheit kommt ex cathedra. Darum sind seine Nummern akademisch und entbehren der Lebendigkeit. Das Fixierte, Esoterische wäre zwar an sich noch kein Grund, das Programm schlecht zu finden, wenn seine Kunst dabei stark wäre, wenn sie in sich Macht bärge, aber sie wirkt verspielt und routiniert.
Es ist durchaus möglich und auch wünschenswert, dass die Hefte über Hüsch revidiert werden müssen, denn die Premiere musste nach der Pause abgebrochen werden, da Hüsch feststellte, dass ihm inzwischen Barschaft, Pass und Rückfahrkarte nach Heidelberg aus der Garderobe entwendet worden waren. Die beschriebenen Eindrücke sind also möglicherweise zu korrigieren. Dies zu prüfen ist jedoch Sache jedes Zuschauers und auch des Kabarettisten.
[Zusatz der Redaktion:] Der Vorfall im Théâtre de Poche ist bedauerlich und mehr als peinlich. Wie zu erfahren war, freut sich H.D. Hüsch jedoch, seine Bieler Gastspielverpflichtung heute Mittwoch einhalten zu können. Gerne hofft man, dass das Publikum dem Gast aus Deutschland trotz der geäusserten Vorbehalte seine Gunst bezeugt.