Schulde bringe Glück. Manfred Schwarz, Emil Moser.
Musikalisches Lustspiel.
Alex Freihart, Karl Weingärtner. Städtebundtheater Biel–Solothurn.
Bieler Tagblatt, 4. Januar 1978.
Uraufführung im Stadttheater:
Im einzelnen gut – Effekt: kurzlebig
Kaum hat sich der Vorhang geöffnet, sieht man auch schon Elsi Holzer die roten Nelken auf dem Pult ihres Bürokollegen Fritz Meier arrangieren. Dass die beiden sich lieben, ist damit unmissverständlich dargetan, und dass sie sich auch kriegen werden, unterliegt keinem Zweifel. Damit aber beginnt die Arbeit der Theaterleute. Fritz und Elsi dürfen sich nämlich nicht schon nach fünf Minuten, sondern erst nach den üblichen zwei Stunden (samt Pause) in die Arme schliessen. Sonst kämen sich die Zuschauer betrogen vor. Es gilt deshalb, den geraden Weg in den Ehehafen zu vermeiden und den beiden Hindernisse in den Weg zu legen, die den Höhepunkt auf möglichst angenehme Weise verzögern.
Eines dieses Hindernisse ist Emil Mosers Musik. Sie bremst die Handlung und bringt sie gleichzeitig weiter. Und indem sie mit einer Sicherheit, die nur Erfahrung und Talent hervorbringen, die Mittellage zwischen eigenständigem Chanson und blosser Untermalung trifft, verleiht sie der an sich banalen Geschichte echten Charme. Sie wirkt unaufdringlich und ist in Wirklichkeit unersetzlich.
Dass sich das handwerkliche Können des Autors Manfred Schwarz gerade in den Änderungen erweist, die er für die Umwandlung des ursprünglichen Hörspiels in ein musikalisches Lustspiel vornehmen musste, scheint in diesem Zusammenhang bezeichnend. Während nämlich die Knoten, die er in den Handlungsfaden schlägt, zuweilen unorganisch anmuten, hat die Art, wie er zur Musik hinführt und wie er die Geschichte im Lied entwickelt, Glätte, ja geradezu Eleganz.
Trotzdem hat das Stück Schwächen, augenfällige und versteckte. Und die scheinen mir die gefährlicheren. Eine davon ist: "Schulde bringe Glück" lässt die Schauspieler im Leeren hängen. Günter Rainer, Claudia Federspiel, Ernst Jenni, ja die Nebenrollen insgesamt haben keine andere Aufgabe, als der Handlung weiterzuhelfen. Was für Charaktere sie spielen sollen, bleibt unbestimmt. So bringt denn jeder Schauspieler in die Aufführung, was er hat: Günter Rainer sein komödiantisches Temperament, Claudia Federspiel ihre Routine und Ernst Jenni... nichts.
Es wurden aber auch die Hauptpersonen vom Autor im Stich gelassen: Es fehlt eine überzeugende Begründung für ihre Verklemmtheit; und die Frage, wie zwei Leute derart vernagelt sein können, bleibt ohne schlüssige Antwort. Trotzdem entledigen sich Verena Leimbacher und Hans-Heinrich Rüegg ihrer Aufgabe nicht nur mit Anstand, sondern sie sind im einzelnen auch wirklich gut.
Damit ist indessen das Vergnügen, das "Schulde bringe Glück" den Zuschauern bereitet, nicht erklärt. Die Quelle, die es speist, ist der Effekt des Wiedererkennens. Das bedeutet: Wenn einer die Zeitung aufschlägt und seinen Namen darin lesen kann oder wenn er den Fernseher andreht und einen Nachbarn in der Sendung erblickt, macht ihm das Freude. Und nun geht er ins Theater, an jenen Ort also, der längst Vergangenes abgebildet zu werden pflegt, und erblickt statt eines Romeos aus dem 16. Jahrhundert den Junggesellen Fritz Meier von nebenan auf der Bühne! Da ist verständlich, dass uns das Interesse, wer wir sind und wie wir wirken, zwei Stunden lang an den Zauberspiegel des Theater zu fesseln vermag.
Dies um so mehr, als es dem Regisseur Alex Freihart und den Schauspielern gelingt, dieses Interesse durch eine Fülle von naturalistischen Details wachzuhalten. Wer genau hinschaut, wird zwar bemerken, dass manche Züge nicht der Wirklichkeit, sondern dem Kabarett und dem Schwank entnommen sind; aber das ändert nichts Grundsätzliches an der Freude des Wiedererkennens.
Dass dabei Karl Weingärtners Bühnenbild eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, liegt auf der Hand. Es bildet die Schauplätze naturgetreu ab, lässt sich flott umbauen und zeugt damit von künstlerischem wie technischem Geschick.
Der Grund, warum trotz guter Einzelheiten der Effekt des musikalischen Lustspiels kurzlebig ist, liegt somit in der Natur der Sache: Sobald sich der Vorhang senkt, ist der Spiegel, der Bruchstücke unserer Welt abbildete, verhüllt; die Geschichte ist restlos aufgegangen, und wir haben nichts nach Hause zu tragen.