Die tollen Geschäfte des Ivar Kreuger. Jan Bergquist und Hans Bendrik.
Revue.
Heinz Possberg. Städtebundtheater Biel–Solothurn.
Bieler Tagblatt, 21. Februar 1978.
Eine Revue, und noch etwas mehr...
Was für ein guter Einfall, über Aufstieg und Fall des schwedischen Zündhölzchenkönigs Ivar Kreuger eine Revue zu machen! Ein Gymnasialprofessor und Doktor der Geschichte beklagte sich zwar in der Pause, das Ganze sei eine arge Simplifizierung und Geschichtsklitterung. Aber wer erwartet denn von einer Revue historische Treue und akademische Pedanterie? Anderes ist hier wichtig: das Tempo, der Schwung, die Abwechslung. Und das Autorenpaar Bergquist und Bendrik, beides Schauspieler, weiss, was zieht, und es gibt dem Theater, was des Theaters ist. Das heisst: eine abwechslungsreiche Fülle wirksamer Einfälle und scharfe, dankbare Karikaturen.
Für Schauspieler ist das Stück ein gefundenes Fressen, und zumindest einen davon haben wir am Städtebundtheater bestimmt: Günter Rainer. Gleichviel, ob Arbeit oder Talent, er ist ungemein agil und wandlungsfähig, und was das Wichtigste ist: seine Lust an der Verwandlung springt über die Rampe und zieht die Zuschauer ins Spiel hinein. Mit seiner präzisen und doch lockeren, unverkrampften Sprache geht er denn auch kurz vor der Pause an das Bravourstück heran, den Radioreporter an der Wall-Street. Er überträgt live, was sich am sogenannten Schwarzen Freitag, der die Welt in eine jahrelange Wirtschaftskrise stürzte, in der New Yorker Börse ereignet. Und dank seiner stupenden Gestaltungskraft wird das turbulente Ereignis für das Publikum greifbar; eine Leistung, die an der Premiere zu recht Applaus auf offener Bühne auslöste.
Gerne hätte man die übrigen Schauspieler auf seinem Niveau gesehen, denn die insgesamt fünf Akteure haben nicht weniger als 43 Rollen zu verkörpern. Aber seien wir gerecht; auch die übrigen vier hatten ihre starken Momente. Claudia Federspiel wirkte unter anderem beispielsweise als Nummerngirl mit langen Trikotstrümpfen und wackelndem Hintern, der wendige Herbert Boss als kleiner Adolf, Hans-Heinrich Rüegg als US-Präsident Hoover, Malte Horstmann als salbungsvoller Rektor, Thomas M. Meyer als Mann am Klavier, sie alle unter der routinierten Regie von Heinz Possberg.
Und doch wird, wenn der Vorhang endgültig gefallen ist, eine Frage zurückbleiben, die immer stärker zu bohren anfängt: Die Geschäfte des Ivar Kreuger als Revue? Hinter den Karikaturen und hinter dem scharfzüngigen Sarkasmus, mit dem Wachstum und Zerfall eines unheimlichen Finanzimperiums gezeichnet werden, steckt doch wahre Geschichte mit Millionen von Arbeitslosen und namenlosem Elend! Gezeigt wird der Zynismus der Oberen. Wo aber bleiben die, die die Zeche zu zahlen hatten, das Volk?
Wenn einem noch Rezepte gegeben würden, wie etwa bei Brecht, dann könnte man die Diskrepanz ertragen und einigermassen getröstet nach Hause gehen. Aber Jan Bergquist und Hans Bendrik verweigern solche Auskünfte. Die Frage: "Was können wir tun?" bohrt weiter. Und dadurch, dass das Stück zum Nachdenken zwingt, ist es mehr als Revue. Man kann es empfehlen.