Il beretto a sonagli. Luigi Pirandello.
Schauspiel.
Teatro 7, Milano.
Der Bund, 22. Juni 1978.
7. Festival Kleiner Bühnen Bern:
Eine Aufführung, die Massstäbe setzt
Eine alte Geschichte: Ehebruch. Die Indizien sind unmissverständlich, doch beweisen, im streng juristischen Sine, lässt sich nichts. Es liegt also in der Hand der Menschen, welchen Ausgang die Sache nehmen soll. Auf der einen Seite: Schonungsloses Aufdecken – und damit Skandal; auf der andern Seite: Zudecken, vertuschen – und damit Wahrung des gesellschaftlichen Ansehens. Man entscheidet sich für letzteres. Die Person, welche die Angelegenheit aufbrachte und Aufklärung verlangte, wird für verrückt erklärt.
Zwei Lehren lassen sich aus Luigi Pirandellos "Il beretto a sonagli" ziehen. Die erste: Wenn die Menschen vor der Entscheidung stehen, ob sie ihr Leben in der Wahrheit oder unter Masken führen wollen, wählen sie die Lüge. Und die zweite Lehre: Wer die Wahrheit sagt, ist ein Narr, und nur, solange er die Rolle des Narren (den man nicht ernstzunehmen braucht) spielt, darf er die Wahrheit sagen.
Eine alte Geschichte – konventionelles Theater. Fünf Personen in einem Salon sitzen, stehen, reden; und während sie ihre Gespräche führen, wird ihr Wesen für den Zuschauer durchsichtig, werden ihre Probleme und Nöte greifbar, verständlich. Ein Konversationsstück also, ohne Bühnenzauber, ohne grosse theatralische Bewegungen, dafür mit unverhältnismässig langen Reden, zur Hälfte beinahe philosophisch, zur andern Hälfte die Handlung weiterführend.
Das bedeutet eine heikle, anspruchsvolle Arbeit für die Theaterleute. Mit Drückern und äusserlichen Mitteln ist nichts zu erreichen. Es gibt nur eins: Scheitern oder bestehen. Verdecken lässt sich künstlerische Unzulänglichkeit hier nicht.
Die Aufführung nun, die das Teatro 7 Milano herausbrachte, hält nicht nur den künstlerischen Anforderungen des Stücks stand, sie setzt darüber hinaus Massstäbe für jegliches Theaterschaffen. Massstäbe, was die Regie anbelangt: In der exakten, sorgfältigen Umsetzung des Textes; im wohlproportionierten, klug eingesetzten Wechsel des Tempos, der Stimmungen, der Töne; in der anspruchsvollen, aber ästhetisch höchst befriedigenden Gratwanderung zwischen realistischem Abbilden und raffinierter Stilisierung.
Massstäbe auch, was das Schauspielerische angeht. Unmöglich zu beschreiben, was für eine Ausdrucksskala den Mailänder Darstellern zur Verfügung steht, was für eine Spanne innerer Vorgänge sie herausbringen. Mit welcher Differenziertheit sie ihre Figuren ausleuchten bis in die geheimsten Herzkammern hinein. Und trotzdem fallen die Personen nicht auseinander, sondern werden zusammengehalten von einem Kunstwillen, der die Schauspieler durchdringt bis in die Zehenspitzen, bis in die feinsten Regungen der Gesichtsmuskulatur, bis in Nuancen des Tonfalls.