Der Sturm. William Shakespare.

Schauspiel.

Alex Freihart. Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Der Bund, 17. September 1979.

 

 

Selbstfindung auf einer Theaterinsel

 

Mit Shakespeares "Sturm" als Eröffnungspremiere hat das Städtebundtheater wahrscheinlich seine Möglichkeiten überschätzt. Allein schon die bescheidenen Bühnendimensionen erlauben nicht, eine Theaterinsel aufzustellen, die der vollen Ausdeutung des Textes entgegenkommt. Ist im Original beinahe jede Szene überschrieben mit "eine andre Gegend der Insel", so bleibt sich das Bühnenbild im Städtebundtheater von Anfang bis Ende gleich, weil die Maschinerie keine Verwandlungen erlaubt.

 

Bereits solche Äusserlichkeiten wirken aber auf den Gehalt der Inszenierung zurück. Bei Shakespeare nämlich bedeutet jeder Wechsel der Schauplätze auch einen Wechsel der Töne. An einem Ort ist das Komische, an einem andern das Tragische und an einem dritten Ort das Liebliche angesiedelt. Und jedem dieser Orte ist eine Gruppe von Schiffbrüchigen zugewiesen, die an ihm zur Darstellung gelangt: der Hochadel, gefährdet durch Machtgier und Verrat, der Pöbel, gefährdet durch seine schrankenlose Sinnlichkeit, und daneben der verbannte Prospero mit seiner im Leid geläuterten Menschlichkeit.

 

Sie alle werden im Verlauf des Stückes an einem Ort zusammengeführt, und für einen kurzen, vergänglichen Moment stellt sich der paradiesische Zustand der Leidenschaftslosigkeit ein. Hier ist der Moment, wo Miranda (und das heisst ja: die Staunende) in ihrer grenzenlosen Naivität und Lauterkeit ausruft: "O Wunder, was gibt's für herrliche Geschöpfe hier. Wie schön der Mensch ist. Wackre neue Welt, die solche Bürger trägt." Dann aber legen die Schiffe von der Insel ab, und die Stürme, die von jetzt an auf sie zukommen, werden keine wohltätigen mehr sein.

 

Diesen Wechsel der Töne, dem sich das Bühnenbild versagte, blieb auch die ganze Inszenierung schuldig. Denn parallel zum Wechsel des Schauplatzes läuft ja im Stück die Veränderung der Menschen. Keiner verlässt die Insel unverwandelt: "Wir fanden all uns selbst, da niemand sein war", sagt Gonzalo. Insofern ist im Sturm wirklich etwas untergegangen – der alte Adam – und etwas Neues emporgetaucht.

 

Regisseur Alex Freihart indessen hat die Schauspieler zu solcher Entwicklung nicht geführt, sondern auf den Typen festgenagelt. Auf diese Weise ergab sich eine einfallsarme und spannungslose Aufführung, die mit dem verborgenen Reichtum des Textes merkwürdig unbeholfen umging. Shakespeares Farben- und Nuancenvielfalt war reduziert auf den simplen Schwarzweiss-Kontrast: statische Deklamation wechselte ab mit unmotivierter Betriebsamkeit.

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