Reise um die Welt in achtzig Tagen. Pavel Kohout.
Schauspiel.
Günter Rainer. Städtebundtheater Biel–Solothurn.
Bieler Tagblatt, 2. Oktober 1979.
Premiere in der Aula der Gewerbeschule:
Vergebliche Rettungsbemühungen
Das Städtebundtheater Biel–Solothurn lud am Samstag Abend zur Premiere von Pavel Kohouts "Reise um die Welt in achtzig Tagen". Dem von Günter Rainer inszenierten Stück mangelt es an textlicher Abwechslung, und die Basis des Stücks – der Kampf des Menschen mit der Zeit – konnte nur ungenügend herausgearbeitet werden.
Ein Detail, das der Aufführung einen ganz eigenen Charme zu geben versprach, befand sich hinter einem Paravent im Orchestergraben rechts. Da war ein Klavier, ein Tonband, ein Mischpult. Und an diesen Geräten sass nicht irgendein anonymer Techniker, sondern Regisseur Günter Rainer in höchsteigener Person. Im Gegensatz zu den grossen Theatern, wo Licht und Ton im Computer gespeichert sind und automatisch abgerufen werden, wurde hier die Technik als etwas Behelfsmässiges behandelt.
Es war dieses Behelfsmässige, das der Inszenierung einen eigenen Charme zu geben versprach. Alles, was zur perfekten Illusion dient, war weggelassen worden. Die Requisiten waren karg und erkennbar aus Pappe, die Darsteller spielten Karikaturen und keine Charaktere, das einzig Echte – warum eigentlich? – waren die Kostüme.
Auf Theater, Klamauk, Übertreibung lief das Ganze hinaus. Und dadurch stellte sich eine Reihe von Bildern ein, die ins Skurrile, zuweilen gar ins Poetische hineinspielten, gerade weil sie alle etwas Skizzenhaftes an sich hatten. Da war etwa ein Pferdekopf aus Karton zu sehen, dazu eine Peitsche, ein Seil, vier Stühle, ein Podest, und alles zusammen ergab eine Kutsche. Oder vier Darsteller, die hintereinander sassen und ihre Körper rhythmisch schüttelten, ergaben den Expresszug Bombay-Kalkutta. So war alles bloss angetupft. Und dort, wo Gespür fürs Typische dahintersteckte, war die Aufführung auf ihre Weise wieder perfekt.
Gleich zu Beginn war eine solche Szene zu sehen. Phileas Fogg, der Urtyp des spleenigen Engländers, rügt seinen Diener, weil das Badewasser zwei Grad zu kalt ist. Alf Beinell schlug dazu den richtigen versnobten Tonfall an, und Beat Albrecht setzte ein überzeugend aufrichtiges Butlergesicht auf.
Ebenso überzeugend in ihrer karikaturistischen Treffsicherheit war die Szene in der Bank von England. Vor einem servilen, emsigen Schalterbeamten (Peter Glauser) warteten drei Gentlemen von allervornehmster Distinktion (dargestellt von Raoul Serda, Kurt Bigger und Rolf Schwab), und neben der diszipliniert wartenden Menge schob sich ein rohes Subjekt (Marc Sillaber) mit seiner Knarre vor, um die Bank um 55'000 Pfund zu erleichtern.
Doch was sich da so vielversprechend anliess, sollte im Lauf der Aufführung an einem allzu schwachen Text scheitern. Die "Reise um die Welt in achtzig Tagen" ist, wie man weiss, ein Roman von Jules Verne. Weniger bekannt ist, und das wahrscheinlich zu recht, dass der tschechische Dramatiker Pavel Kohout diese Vorlage vor 16 Jahren fürs Theater umgearbeitet hat. Verkürzt auf eine Spieldauer von zwei Stunden verliert die einfache, geradlinige Handlung des Romans nämlich ihr Aroma, und übrig bleibt eine Reihe von gleichförmigen Episoden. Immer wieder sieht man die Helden im Zug oder auf dem Schiff, und immer wieder treten nach kurzer Zeit die altbekannten Hindernisse (Indianerüberfall, Sturm, Verhaftung) ein: mit der Regelmässigkeit eines Uhrwerks.
So aber mangelt es dem Text an etwas Elementarem, über das schon die Antike Bescheid wusste. "Variatio delectat", hiess es damals: "Abwechslung erfreut". Und wenn sie fehlt, schleicht sich etwas fürs Theater Tödliches ein: Gleichgültigkeit, Langeweile.
Vielleicht liegt die Ursache noch tiefer. Im Theater beruht die Handlung auf den Personen. Zwischen ihnen spielt sich alles Entscheidende ab. In Jules Vernes Roman jedoch basiert die Handlung, wie das Programmheft sagt, "auf dem Kampf des Menschen mit der Zeit". Die Zeit aber ist etwas Abstraktes. Sie lässt sich bloss denken, nicht aber ohne weiteres darstellen, das heisst: Personifizieren. Und damit bleibt von der Bühnenversion das Entscheidende ausgeschlossen, das den Episoden im Roman erst ihren Sinn gab.
Und irgendwie scheint das Regisseur Günter Rainer auch gespürt zu haben. Denn anders wäre es schwer erklärlich, warum er die Darsteller zu derart forciertem Spiel anhielt. Es war, als ob mit grösstem Einsatz an Lautstärke und Gebärdenspiel die konstitutionelle Schwäche des Stücks wettgemacht werden müsste. Doch retten liess sich damit nichts. Im Gegenteil, ein weiterer Verlust musste eingehandelt werden: das Spiel der Darsteller wurde zunehmend unpräziser. Was vorher mit zwei, drei prägnanten Pinselstrichen skizziert worden war, wurde nun mit dick aufgetragener Farbe verschmiert.
Möglich, dass mit längerer Probezeit das Zufällige, das den meisten Porträts am Schluss anhaftete, hätte wettgemacht werden können. Aber selbst dann hätte sich wohl nicht übersehen lassen, dass die Figuren, selbst die wichtigen, von Kohout vernachlässigt worden sind. Das zeigte sich in Biel daran, dass auch ein Paul Bühlmann, eine Verena Leimbacher und eine Eleonore Bürcher, also lauter erfahrene, talentierte Schauspieler, mit ihren Rollen enttäuschend wenig anfangen konnten.