Hans Dieter Hüsch und Franz Hohler.
Konzert.
Casino Bern.
Der Bund, 19. November 1979.
Exkurs über das Publikum
Hans Dieter Hüsch und Franz Hohler für Amnesty International
Ich habe mich schon oft gefragt, woran es liegt, dass solch ein stilles Publikum heute nicht mehr zu finden ist, wie es der alte Burckhardt in seiner "Griechischen Kulturgeschichte" schilderte: "Das griechische Ohr, für dessen Feinheit wir in der Metrik ein allgemeines Zeugnis haben, muss von einer für uns kaum vorstellbaren Empfindlichkeit gewesen sein, wenn Instrumente mit Darmsaiten, welche nicht gestrichen, sondern nur gegriffen oder mit dem Plektron gespielt wurden, in riesigen, völlig besetzten Theatern hörbar sein sollten, wie dies das Auftreten des Kitharöden daselbst voraussetzt, oder wenn, wie bei den Spartanern ausser dem Flötenspiel auch das Spiel der Lyra als Marschmusik dienen sollte."
Ob es am allgemeinen Lärm unserer Zeit liegt? Müssten wir uns hinwegdenken können "aus der Welt unserer modernen Blechinstrumente und uns andere Ohren vorstellen als unsere vergeigten, zertrommelten, von den Lokomotivpfiffen nicht zu reden?" – Solche Ursachen nahm jedenfalls Jakob Burckhardt an, als er vor achtzig Jahren sein magnum opus verfasste.
Wir Heutigen würden wohl andere Gründe dafür verantwortlich machen, dass das zeitgenössische Publikum nicht mehr stillsitzen kann. Erich Fromm: "Aber noch seltener als Selbstdisziplin ist in unserer Gesellschaft die Konzentration; unsere Kultur führt vielmehr zu einer unkonzentrierten und zersplitterten Lebensart, für die es kaum eine Parallele gibt. Man tut viele Dinge auf einmal; man liest, hört Radio, unterhält sich, raucht, isst und trinkt. Man ist ein Konsument, der mit offenem Munde dasitzt und gierig und bereitwillig alles schluckt: Bilder, Schnaps, Wissen. Ruhig zu sitzen, ohne zu sprechen, zu rauchen, zu lesen oder zu trinken, ist für die meisten Menschen unmöglich. Sie werden nervös und unruhig; sie müssen irgend etwas tun, entweder mit dem Mund oder mit den Händen."
So war es auch beim Konzert im Casino, das Hanns Dieter Hüsch und Franz Hohler zugunsten von Amnesty International gegeben haben. Auch hier fand er sich, der Grundpegel von Husten und Schnupfen, Füssescharren und Kratzen, den wir gar nicht mehr wahrnehmen... Und aus diesem Grund waren die Momente derart beeindruckend, wo es im grossen, vollbesetzten Casino-Saal unvermutet ruhig wurde, so dass man merkte: jetzt, jetzt haben die Kabarettisten einen Nerv getroffen.
Diese andächtige Stille (es fällt mir kein besseres Wort ein), diese Konzentration und Offenheit des Publikums kam bei Sachen auf, die nicht unbedingt Knüller sind, und das ist das Interessante: bei der Bach-Partita, die Hohler auf seinem selbstgebastelten "Reisecello" vortrug. Oder beim Lied, das Hüsch sang für die Utopisten, die glauben, dass sich die Menschen eines Tages vertragen könnten.
Es waren alles alte Nummern und längst bekannte Chansons, die Franz Hohler und Hanns Dieter Hüsch vortrugen. Aber wenn es still wurde im Saal, merkte man: Die Leute sind nicht bloss gekommen, um sich zu amüsieren. Auch nicht, um sich ihrer Weltanschauung zu vergewissern. Sondern sie sind bereit, sich von Hüsch und Hohler befragen zu lassen.
Und dass sie im Moment des Fragens nicht auswichen mit Husten und Schnupfen, Füssescharren und Kratzen, das berechtigt zu Hoffnung.