La Femme et le Pantin. Henry-Louis Matter.

Oper.

Jean-François Monot, Renée Auphan. Opéra de Lausanne.

Radio DRS-2, Reflexe, 18. März 1991.

 

 

Da Komponisten in der Schweiz von ihrer Arbeit nicht leben können, hat Henry-Louis Matter zwölf Jahre lang sein Brot als Journalist verdient und nur in der Freizeit komponiert: Lieder, auf Texte von Lenau und Rilke. Daneben schrieb er – immer noch in der Freizeit – das einzige französische Buch über Anton Webern. Dann packte ihn die Lust, es mit der Oper zu versuchen; statt feinziselierter Miniaturkunstwerke in Form von Lyrikvertonungen den grossen Bogen herzustellen. So entstand Henry-Louis Matters erste Oper. Der Komponist schrieb sie auf einem Macintosh SE/30 und mit dem Programm von Coda Music. Entstanden ist eine ausdrucksstarke, wohlklingende Partitur.

 

(Musik)

 

Musik für Streichorchester. Sie süss-herben Klänge der Geige tragen die Komposition. Sparsam setzt Matter die anderen Instrumente ein: Harfe, Glockenspiel. An markanten Punkten übernehmen die Bläser solistische Aufgaben.

 

(Musik)

 

Die vulgären Bläsereinsätze deuten an, dass es Schluss ist. Der Mann aber weiss es noch nicht. Er ist die Treppe hochgestiegen und steht jetzt vor der Wohnung seiner Geliebten.

 

(Musik)

 

Niemand antwortet, nur die Tuba.

 

(Musik)

 

Eine Nachbarin öffnet die Tür: Machen Sie doch nicht solchen Lärm, mein Herr, Ihre Dame ist heute Morgen weggezogen!

 

(Musik)

 

Voilà. Was nun. Der Mann kommt sich genarrt vor. Das Opfer weiblicher Verschlagenheit. Ein Hampelmann. Darum auch der Titel der Oper: "La Femme et le Pantin". Die Frau ist ein vierzehn, höchstens sechzehnjähriges Mädchen. Und der Hampelmann ein verheirateter, bourgeoiser Vierziger. Er möchte mit ihr ins Bett, und er ist auch bereit zu zahlen. Doch sie hält ihm entgegen: "Was willst du noch mehr? Du hast meine Brüste, du hast meine Beine. Du hast meine Lippen – genügt dir das nicht? Dann liebst du mich nicht. Denn was du von mir nicht bekommst, kann dir jede Frau geben." Der Mann zappelt vor Lust und kann nicht begreifen, dass die Frau sein Angebot ausschlägt. Er hört ihre Worte und versteht sie nicht. Die Frau aber sagt: "Ich gehöre mir, und ich behalte mich. Ich habe nichts Kostbareres als mich. Niemand ist reich genug, um mich von mir zu kaufen."

 

(Musik)

 

"La Femme et le Pantin" beruht auf einem Roman des Pariser Schriftstellers Pierre Louys, einem Freund Debussys. Der Roman gehört zur Gattung der sogenannten masochistischen Literatur. Der Mann ist das Opfer der Frau, der Mann ist der leidende Teil. Eine Geschichte, wie sie sich die Männer im fin de siècle ausphantasierten. Man hört das der Musik an.

 

(Musik)

 

Was Henry-Louis Matter da geschrieben hat, ist eklektische Musik.

 

(Musik)

 

Puccini, Debussy, Richard Strauss, Menotti – diese Komponisten haben Matter beeinflusst, sagt der Dirigent der Uraufführung, Jean-François Monot.

 

Matter nimmt das gelassen. Seit die Oper im 18. und 19. Jahrhundert ihren Gipfel erreicht hat, kann kein Komponist mehr eine naive Oper schreiben. Immer schon befindet er sich in einem Netz von Anspielungen und Bezügen. Und so schreibt denn Henry-Louis Matter Melodien, die ins fin de siècle zurückweisen, in die Entstehungszeit von "La Femme et le Pantin".

 

(Musik)

 

An den Stil dieser Musik hat sich die Regisseurin nicht gehalten. Sie hat sich für ein Ambiente entschieden, das nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist. Zuerst dachte sie zwar daran, die Geschichte in Sizilien spielen zu lassen; jetzt könnte sie sich ebensogut in Lausanne zutragen.

 

(Wort)

 

Renée Auphan hat mit dieser Inszenierung ihr Regiedébut gegeben, und zwar mit besonderer Lust.

 

(Wort)

 

Sonst ist Renée Auphan Direktorin der Oper in Lausanne. Dass sie diesmal auch Regie führte, liegt daran, dass sie unbedingt vermeiden wollte, dass "La Femme et le Pantin" von einem Mann inszeniert wird. Um bei dieser zweideutigen Geschichte allem Missverständnis vorzubeugen.

 

(Wort)

 

Aus Sorge vor Missverständnissen hat nun Renée Auphan eine Inszenierung von eklatanter Blässe und Unscheinbarkeit erstellt. Was auf der Bühne geschieht reicht in keiner Weise an den Witz und die Subtilität von Henry-Louis Matters Oper heran. Über die Tauglichkeit des Werks als solchem wird man erst urteilen können, wenn es, wie vorgesehen, in Frankreich neu inszeniert wird.

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