Heimliches Geld, heimliche Liebe. Johann Nepomuk Nestroy.

Posse.

Bruno Felix. Theater für den Vorarlberg, Gastspiel im Stadttheater Biel.

Bieler Tagblatt, 23. Februar 1984.

 

 

 

Genialer Komödienspass in charmanter Aufführung

 

Die vergessene und lange Zeit verschollene Posse "Heimliches Geld, heimliche Liebe" bringt das Theater für den Vorarlberg in seinem Gastspiel heraus. Da Nestroys Witz vor allem in der Sprache liegt, spielt die Beherrschung des "Weanerischen" eine grosse Rolle fürs Gelingen einer Aufführung. Die Bregenzer Truppe lässt in dieser Beziehung keine Wünsche offen.

 

Johann Nepomuk Nestroy, dieser Fürst unter den Komödiendichtern, war als Mensch ebenso ungewöhnlich wie als Künstler. Mit der äusseren Welt kam er kaum zurecht. Er wirkte "unbeholfen, schüchtern und einsilbig". Darum konnte Carl Karl, sein Prinzipal, sagen: "Nestroy ist erst Nestroy, wenn er die Feder ergreift oder aus den Kulissen tritt, ansonst ist er ein armes Hascherl."

 

So gehemmt er sich aber in der Wirklichkeit benahm, in der Welt des Theaters besass er die Souveränität eines Genies. Unheimlich, ja geradezu beängstigend ist allein schon seine Produktivität: Innert dreissig Jahren verfasste er 83 Theaterstücke – vielleicht auch mehr, man weiss das nicht so genau. Und in seiner vierzigjährigen Bühnentätigkeit verkörperte er 879 Rollen.

 

Alles, was dem normalen Menschen alltäglich vorkommt, bereitete ihm unsägliche Pein: Einem Fremden die Hand zu drücken, eine Konversation zu führen, auf einem Amt vorzusprechen – das brachte ihn ins Zittern. Dafür fiel ihm das Dichten, bei dem mancher schon in Schweiss geraten ist, wunderbar leicht.

 

Seine Stücke verfasst er im Bett, am frühen Morgen, gleich nach dem Erwachen. In der rechten Hand hält er das Schreibgerät, und mit der linken Hand führt er sich die Butterbrote in den Mund. Eine kurze Nacht liegt hinter ihm. Nach der Aufführung im Theater hat er wie üblich mit seinen Kollegen Scholz und Grois im Café Stierböck in der Leopoldstadt seine tägliche Kartenpartie gespielt. Und nun, nach fünf, sechs Stunden Schlaf, ist sein Geist lebendig und frisch.

 

So selbstverständlich, wie andere Frühgymnastik treiben, notiert er sein neues Stück mit Bleistift auf einen Papierbogen, der in der Mitte gefaltet ist. Die eine Hälfte des Blattes bleibt für spätere Einfügungen, für Couplets, für neue Wendungen des Dialogs frei. Auch das Theaterspielen macht ihm keine Angst. Es kommt vor, dass er am Vormittag schreibt, was er am Abend spielen wird. Der Herr gibt's den Seinen im Schlaf...

 

Schon früh wurde die Eigenart von Nestroys Possen erkannt. Der Prager Theaterkritiker Bernhard Gutt schreibt 1844: "Die meisten seiner Charaktere bleiben im Verlaufe des Stücks stationär, und das Interesse der Stücke liegt ausschliesslich in den Situationen und im Dialoge. Die Gestalt ist fertig vor uns schon beim Anfange, feine psychologische Entwicklungen, Vorbereitungen, Übergänge dürfen wir nicht erwarten."

 

Für jedes Stück schreibt Nestroy eine Hauptrolle für sich und eine zweite Hauptrolle für seinen Freund und Partner, den dicken Wenzel Scholz. Alle Possen führen zu einem Happy-End, das manchmal abrupt und unmotiviert wirkt. Nestroy selber macht sich zuweilen darüber lustig, indem er seine Figuren die Schlusspartie singen lässt wie ein Opernfinale.

 

All diese Elemente finden sich in der Posse wieder, welche das Theater für den Vorarlberg ausgegraben und bearbeitet hat. Auch "Heimliches Geld, heimliche Liebe" hat einen konventionellen Schluss: alle ledigen Figuren kommen unter die Haube, es gibt eine dreifache Hochzeit. In einer glänzenden Opernparodie offenbaren sich die Liebespaare und lassen sich den Lebensbund vom übrigen Ensemble einsegnen.

 

Und wie in den meisten Stücken finden sich auch hier zwei Hauptrollen: der verschlagene Peter Dickkopf und der pfiffige Kasimir Dachl. Beide hat Bruno Felix, der Regisseur, erstklassig besetzt.

 

Hugo Lindinger spielt den Dickkopf wie seinerzeit Wenzel Scholz. Denn auch Lindinger ist ein dicker, kurzbeiniger Mann  mit kurzem Hals und rundem Kopf. Er wirkt, wie Scholz, naiv und phlegmatisch. Er hat eine ganz eigentümliche, stille Drolligkeit. Sein trockener Humor stimmt genau mit seiner feisten, untersetzten Gestalt und seinem dicken Gesicht von stumpfen Zügen zusammen. Wie Scholz ist er immer derselbe, und doch lacht man sich niemals satt über ihn.

 

Gleichermassen ideal ist Kurt Sternik als Kasimir Dachl. Die Charakterisierung von Nestroys Spiel durch Bernhard Gutt trifft auch auf ihn zu: "Der Fluss der Sprache und des bezeichnendsten Gebärdenspiels ergiesst sich ununterbrochen, ohne jemals in ermüdende übermässige Beweglichkeit auszuarten, weil er in der flüchtigsten Darstellungsweise immer die Ruhe und Selbstbeherrschung zu bewahren weiss. Unglaublich ist der Nachdruck, den er mit einem Blicke, mit einer leichten Geste, mit einer bezeichnenden Stimmbeugung dem Worte zu geben weiss."

 

Um die beiden Hauptfiguren herum gruppiert sich ein zuverlässiges Ensemble von 16 Darstellern, so dass man insgesamt von einer charmanten, witzigen Aufführung sprechen kann.

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