Minetti. Thomas Bernhard.
Schauspiel
Claude Grin. Théâtre Sans Nom, Genève.
Radio DRS-2, Reflexe, 5. November 1986.
Für mi ghört der "Minetti" vom Thomas Bernhard näbe die grosse Theatertheorie, wie "das kleine Organon" vom Bertolt Brecht, "The Empty Space" vom Peter Brook und "Le paradoxe sur le comédien" vom Denis Diderot. Zwüsche der erste u der letzte Syte vom sym Stück behandlet der Thomas Bernhard nume ei Frag, die nach em Wäse vor Schauspielkunst. Am Afang heisst's: "Was ist das? Ein komischer Herr." U der letzt Satz heisst: "Der Künstler. Der Schauspielkünstler." Am Afang vom Stück chunnt üs en alte Ma als glungnige Chutz entgäge, u dä glungnig Chutz entlarvt sich im Lauf vo der Uffüehrig als das, won er isch, als Schauspieler. U dermit entlarvt er sich glychzytig als das, won er nid sich: Wär nämlich Schauspieler isch, dä isch nid sich. Sondern dä stellt sys eigete Wäse zrügg hinter d Rolle. Dihr gseht, es isch paradox. Der grösst Schauspieler isch dä, wo sich ganz tuet uslösche.
Ganz uslösche cha me sich aber nume, wenn me uf ds Läbe verzichtet, wenn me sich umbringt. U so erläbe mir jetz im "Minetti" vom Thomas Bernhard der Gipfel vor Schauspielkunst genau im Moment, wo der Minetti d Maske vom Lear ufsetzt u hinter dere Maske wägdüüsselet i Tod: "Er schluckt blitzartig mehrere Tabletten. Dann setzt er ebenso blitzartig die Learmaske auf, steckt die Hände in die Manteltaschen, bleibt starr längere Zeit hocken und sagt dann: 'Schnell weg'. Er bleibt bewegungslos, bis er vollkommen zugeschneit ist. Ende."
Mit der These, dass Schauspielkunst ihre Gipfel erst erreicht im Tod vom Schauspieler, het der Thomas Bernhard "le paradoxe sur le comédien" uf d Spitzi triebe, will er gmerkt het, dass me ds Gheimnis vom Theater nume im Paradox cha darstelle. Zum Paradoxe ghört ou, dass der Schauspieler im Stück der Name treit vo däm Schauspieler, wo ds Stück zur Uruffüehrig bracht het: Beidi heisse Minetti, die erfundnigi Figur u der wirklich Mönsch. U derby decke sich die beid gar nid. Der Bernhard Minetti het ganz en anderi Biographie als d Figur Minetti. Der wirklich Schauspieler het e grossi Theaterkarriere hinter sich. Der erfundnig dergäge het sich 30 Jahr versteckt ghalte u heimlich für sich der Lear gspielt: "In der Dachkammer meiner Schwester in Dinkelsbühl spielte ich an jedem Dreizehnten des Monats vor dem Spiegel den Lear, immer pünktlich um acht am Abend, in Ensors Maske." Wieder es Paradox: D Schauspielkunst, wo schüsch gmacht wird für d Zueschauer, blybt uf em Dachbode ohni Publikum, sie passiert im Heimliche. Derfür isch das, wo d Zueschauer gseh, wenn sie ds Stück vom Thomas Bernhard aluege, ds Öffentliche, u das Öffentliche isch gylchzytig d Negation vor Schauspielkunst. Im Klartext: d Zueschauer luege eme Schauspieler zue, wo nid spielt, em ene Schauspieler, wo als Privatma derhärchunnt. Aber will's en erfundnigi Privatperson isch, wo uf der Bühni steit, isch sie äbe glych wieder künstlich. Dihr gseht: Wenn der Thomas Bernhard vom Theater redt, chunnt er nid zum Paradoxen us. Viellicht het är wäge däm wolle, dass der Bernhard Minetti sy Minetti spielt. Will nume e Schauspieler vo sym Kaliber e Schauspieler cha spiele, wo nid spielt.
Was chunnt jetz use, wenn das e Schauspieler nid cha? Wenn me nid vergisst, dass er spielt, will er der Minetti so git wie irgend e Theaterfigur? Zum Byspiel mit eme Tremolo vor Comédie Française ir Stimm, wenn's pathetisch wird? Z Genf het me chönne gseh, was usechunnt, wenn der Schauspieler nid laht la vergässe, was er spielt: De gheie alli subtile Paradoxie vom Thomas Bernhard zäme, d Glychige u d Glychsetzige, wo eim so irritiere, stimme nümm, ds Ganze geit nümm uf. Es gheit zäme zum ene längwylige Deklamiere ohni Spannig. Das het der Regisseur Claude Grin gmerkt, u drum het är probiert, mit Theatermittel über das Fiasko ewägg z bschysse. Mit Kerzeliecht u Belüchtigswechsel macht er u Stimmig, uf Ambiance; e Sängere chunnt bi de Szenewächsle altenglischi Lieder zur Lute cho vortrage, der Hotelportier und es Zimmermeitschi, wo im Stück nid vorchunnt, der Portier u ds Zimmermeitschi füehre als Garnitur e pantomimischi Liebesgschicht uf. Ds Théâtre Sans Nom het offensichtlich ds falsche Stück gspielt, oder besser gseit: ds richtige Stück falsch gspielt. Drum isch es villicht richtig, dass ds Théâtre Sans Nom ke Name het. Me brucht sich der Name de nid z merke.