Schwarze Komödie. Peter Shaffer.

Hans Schatzmann. Schauspiel.

Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 6. Januar 1981.

 

 

Bei Peter Shaffers "Schwarzer Komödie" handelt es sich um ein Boulevardstück, das den gängigen Durchschnitt deutlich übertrifft. Denn es bietet neben saftigen komischen Situationen noch etwas mehr: psychologische Spannung und Hintergründigkeit. Die Aufführung des Städtebundtheaters bemüht sich jedoch mit Erfolg, die Qualitäten der Komödie nicht allzusehr ins Licht zu stellen.

 

Von den grossartigen, aber heute kaum mehr gelesenen "Flegeljahren" des deutschen Klassikers Jean Paul ist ein merkwürdiger Satz geblieben: "Auf dem Larventanz entlarv' ich." Geblieben ist dieser Satz, weil er etwas ganz Wesentliches ausdrückt. Er sagt, dass die Leute erst dann wagen, sich selber zu sein, wenn sie sich hinter einer Maske verstecken können.

 

Wenn ich verlarvt bin, kennt mich nämlich keiner. Ich kann tun, was mir gefällt, und brauche nicht Rücksicht zu nehmen auf das, was sich gehört. Wie immer ich mich aufführe – niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ich sei's gewesen. Die anonyme Larve schützt meine Persönlichkeit. Deshalb komme ich ganz aus mir heraus, wenn ich in einer Maske stecke.

 

Der Maskenball zeigt mithin das wahre Wesen. Die Leute geben sich zu erkennen, weil sie sich unerkannt glauben. – Wer aber weiss, welche Menschen sich hinter welchen Masken befinden, der wird aus ihrem Verhalten den reichsten Aufschluss über ihr Innenleben  erhalten. Er wird dann, wie Vult in den "Flegeljahren", sagen können: "Auf dem Larventanz entlarv' ich!"

 

Etwas Ähnliches wie einen "Larventanz" erhält nun der Zuschauer im Stadttheater vorgesetzt. Er kann hinter die Fassaden von sechs Personen blicken, die sich unbeobachtet glauben und sich daher gehenlassen. Das Stück spielt aber nicht, wie man vermuten möchte, auf einem Maskenball, sondern in der Wohnung eines Künstlers, die durch einen Stromausfall ins Dunkel getaucht wird.

 

Man stelle sich vor: Plötzlich ist das Licht weg! Ärgerlich. Man bleibt zunächst sitzen und wartet ab. Aber das Licht kommt nicht wieder. Dann fängt man an zu überlegen: Habe ich irgendwo Kerzen? Oder Streichhölzer? Man steht auf und tappt mit unsicheren Schritten durchs Zimmer. Rumms – man hat einen Stuhl umgeworfen. Die Verwirrung steigt. Denn man hat in diesem Moment auch noch unpassenden Besucht. Fremde, aber wichtige Leute. Eine Nachbarin und den Vater der Verlobten, dem man sich vorstellen und von der besten Seite zeigen wollte. Also gilt es, die Formen zu wahren und im Finstern den Schein der Wohlanständigkeit aufrecht zu erhalten.

 

Der Stromausfall hält an. Und je länger er dauert, um so deutlicher wird die Veränderung, die mit den Leuten vorgeht. Ihnen dämmert nämlich sachte, was für herrliche Möglichkeiten ihnen die Finsternis bietet: Sie können dem Feind die Zunge herausstrecken, ohne dass er es merkt; sie können eine fremde Frau umarmen, ohne dass es die Verlobte sieht; und sie können sich unter dem Vorwand, Limonade trinken zu wollen, Gin einschenken...

 

So wird der Zuschauer mit der Zeit Zeuge eines spannenden Entlarvungsstücks. Er sieht, wie eine Fassade nach der andern einstürzt, bis die Männer am Schluss mit Eisenstangen aufeinander losgehen. – Der Zuschauer sieht das alles mit eigenen Augen, weil der Autor Peter Shaffer die Verhältnisse umgekehrt hat. In den ersten fünf Minuten, wo der Stromkreis noch funktioniert, ist die Bühne im Finstern. Aber sobald im Stück das Licht ausfällt, wird die Szene hell.

 

Die Inszenierung, die Hans Schatzmann fürs Städtebundtheater besorgte, zeigt vor allem eins: die Schwierigkeiten, die die Leute haben, sich im Dunkeln zurechtzufinden. Sie stossen zusammen, greifen sich aus Versehen an Brüste und Glatzen und stolpern laufend über Einrichtungsgegenstände. Ein paar der Gags werden auch wiederholt.

 

Überraschungen gibt es so gut wie keine, denn meist kann sie der Zuschauer von weitem kommen sehen, weil er ja – im Gegensatz zu den Leuten auf der Bühne – im "Finstern" nicht blind ist. Man kann der Aufführung also nicht gerade Originalität nachsagen. Aber das ist ein Los, das sie mit den meisten Inszenierungen des Städtebundtheaters teilt, und man nimmt es mit Gleichmut hin.

 

Viel bedauerlicher ist, dass Schatzmann die Möglichkeiten zur spannenden Entlarvung bei weitem nicht ausgenützt hat, die das Stück bietet. Seine Inszenierung zeigt nicht konsequent genug, wie die Leute allmählich merken, dass sie sich ungesehen gehenlassen dürfen. Und damit können die Figuren keine psychologische Entwicklung mehr durchführen. Ausserdem fehlt es an Kontrast, weil die Regie ihre Darsteller nicht dazu anhält, in Licht und Dunkel ein unterschiedliches Benehmen zu zeigen.

 

Beides zusammen, Mangel an Kontrast und Entwicklung, lässt sich meines Erachtens auf eins zurückführen: dass es Schatzmann, der selber zum Ensemble gehört, unterliess, seine Kollegen zu führen. Das wirkte sich am verhängnisvollsten bei den jüngeren Kräften aus, die dem einförmigen, überdrehten Klamauk nicht standhalten konnten.

 

Bezeichnend dafür ist, dass Rolf Schwabs Talent in jenem Moment vernehmlich wurde, wo er schwieg. Wenn er sich verlegen am Kopf kratzte also. Oder wenn er die Geliebte anlächelte. Oder wenn er vor sich hin sann. – Solche Momente fehlten bei Bettina Kuhn weitgehend. Man hörte sie kreischen und sah, dass sie da war. Man vergass sie aber, wenn sie schwieg. Kein Zweifel: da hat die Regie versagt.

 

Es ist verständlich, dass die routinierten Schauspieler weit weniger hilflos wirkten. Paul Bühlmann als Colonel Melkett war ansprechend, ebenso Eleonore Bürcher als Clea. Monika Orthofer hatte das Glück, eine Rolle zu haben, die von vornherein auf Entlarvung angelegt ist. Sie zeigte recht geschickt eine bigotte Jungfer, die sich mit zunehmender Trunkenheit vergisst. Lob auch für Walter Zenhäusern, der aus seiner kleinen Rolle ein Maximum an Wirkung herausholte.

 

Und zum Schluss: der homosexuelle Antiquitätenhändler, von Alf Beinell sehr souverän und locker dargestellt. Die Wärme, mit der Beinell seine Rolle formte, wirkte dermassen sympathisch, dass er beim Schlussapplaus das Publikum – und den Kritiker – auf seiner Seite hatte.

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