Boris Godunow. Modest Mussorgski.

Oper.

Michael Boder, Hans Hollmann, Hans Hoffer. Theater Basel.

Radio DRS-2, Reflexe, 15. Oktober 1990.

 

 

(Musik)

 

Der Chor im "Boris Godunow" spielt e wichtigi Rolle. Är het ds erste, und är het ds letzte Wort. Mit ere Chorszene faht d Opere a, u mit ere Chorszene hört sie uf. Viel Lüt säge drum, bim "Boris" spieli der Chor d Hauptrolle; und will der Chor ds Volk verkörperet, wär also ds Volk d Hauptperson. Uf der andere Syte aber heisst d Opere "Boris Godunow"; nid ds Volk gibt ere also der Titel, sondern e Zar, en unglückliche Zar, wo düredräiht, wo irrsinnig wird, wo afaht spinne.

 

(Musik)

 

Der Boris Godunow, Zar vo de Russe, verliert der Verstand, will är es schlächts Gwüsse het. Für zur Macht z cho, het är der Thronfolger lah ermorde. Jetz aber chunnt ihm das tote Kind gäng wieder vor, u mit der Kinderlych wird ou d Bluettat, won är begange het, am Zar immer dütlicher. Uf der andere Syte verschwümmt ihm der Blick für d Realität vo de Regierigsgschäft. Der Boris isch also ne Zar, wo nid gschaffen isch für ds Regiere. Är lydet unter der Macht, grad so, wie ou ds Volk unter der Macht lydet. Me cha also säge: d Hauptrolle i dere Opere vom Modest Mussorgski het weder der Zar, no ds Volk, sondern d Macht. Sie isch d Hauptfigur. Der Boris u ds Volk überchöme sie nume z gspüre.

 

Dermit aber stellt sich aber d Frag: Was isch de d Macht? Und dere Frag stelle sich der Regisseur Hans Hollmann du der Bühnebildner Hans Hoffer. Sie zeige d Macht als öppis Verschwumnigs, wo wyt, wyt ewägg isch. Mi gseht nid dütlich, was es isch, es glycht eme rote Schimmer, ere Gluet, d Macht isch also öppis Rots, öppis Rots wie Füür oder Bluet.

 

Als Zueschauer gseht me das Füür oder Bluet als schwachs Glimme und Glüejie wyt hinte im Theater dür ne Spalt düre. Vo dert hinter chöme ou d Lüt här, wo Macht hei; me gseht nid dütlich, wär sie sy, sie sy nume ne Schatteriss, öpppis Vergänglichs vor der ewige Macht, wo ne d Persönlichkeit nimmt und sie zum eine schwarze Umriss reduziert.

 

Mit dere Symbolik also tüe der Hans Hollmann und der Hans Hoffer z Basel d Macht darstelle. Sie isch öppis Warms, villicht öppis Bluetigs, hinter eme Spalt; wär druf zuegeit, wird zum diffuse Schatteriss u verliert sy Individualität. Es wird mit dere Symbolik nid klar, was d Macht an und für sich isch. Aber es isch klar, wärum es Mönsche git, wo nach der Macht strebe. Sie wei verschmelze mit dere Kraft, wo alles regiert, mit dere Kraft, wo alli Wünsch und Bedürfnis erfüllt, sobald sie sich rege, so dass me im ene Bad vo Glück und Zufriedenheit schwümmt, wo me ke Angst meh kennt, kei Kälti und kei Einsamkeit, will me geborgen isch im Zentrum vo der Kraft, und alles um eim ume isch nume no da, für d Bedürfnis z stille, sobald sie sich rege. – D Sehnsucht nach der Macht also, so wie sie ds Basler Inszenierigsteam uffasst, isch en infantile Traum; es isch d Sehnsucht nach der Rückkehr i Mueterlyb. Und dass die Sehnsucht nume en infantile Traum isch, das zeigt d Opere dütlich, will keini vo de Figure d Geborgeheit fingt; mit ihrem Machtstrebe steit jedi Person allein, sie cha d Lüt um sich ume nume als Rivale und Finde uffasse.

 

Für das de Zueschauer fasslich z mache, erfinde der Hans Hollmann und der Hans Hoffer e ganz konsequenti, glasklari Symbolik. D Bühni steit im Fystere. D Sänger, wo ufträtte, muess me drum alüüchte. Der Schynwärferstrahl bildet jetz aber nid e Kegel, sondern es Viereck. Jedi Figur bewegt sich im eine Bild inn; sie isch ygfange im eine Rahme; mit ihrne chlyne Wünsch und ihrne chlyne Bedürfnis blibt sie einsam und allei. Viel e so Hüseli, so Carré, bilde zäme ou e riesigi Projektionswand, und dadruffe gseht me jetz als Vorstellig, als Projektion äbe, grossi tachistischi Gmäld uflüüchte, intensivi Farbe, küehni, wyt usgryffendi Bewegigie, Symbol vom Läbe, wo d Hüseli sprängt, wo anarchisch und wild und schön isch, aber leider nume i der Vorstellig existiert, als Projektion, aber nid im Läbe, nid ir Würklichkeit, und ou nid im "Boris Godunow" vom Modest Mussorgski.

 

(Musik)

 

Dür d Wahl von ere symbolische Sprach länken eim keini naturalistische Bildli meh vo der Handlig und vo der Musik ab. Es gibt keini Ikonebilder und keini flackernde Kerzli. Und so erlaubt d Inszenierig ou, dass ds Theater Basel syni beide Trümpf unghinderet cha usspiele: ds Orchester und der Chor. Der Chor, wo im "Boris" ds erste und ds letzte Wort het, isch z Basel überwältigend und ydrücklich. D Wortverständlichkeit, d Schönheit vo de Stimme, d Homogenität vom Gsamklang löh sich nümm la überträffe, mi cha von ere perfekte Leistig rede. Die glychi Perfektion bringt ou ds Basler Sinfonieorchester häre. Jedes Register makellos, wundervoll phrasiert, im Klang schlank und energisch, ds ganze usgliche und transparent bis i die letzti Näbestimm, und immer eso kontrolliert, dass d Sänger nie zuedeckt wärde – musikalisch e reini Wonne, z verdanke am Chefdirigent Michael Boder. Wenn me wott wüsse, was der Mussorgski gschriebe het, de muess me uf Basel ga lose, dert cha me's ghöre.

 

Überraschend guet ou d Hauptrolle; der Boris het viellicht e z liechti Stimm; aber dadermit, dass ihm d Wucht fählt, chunnt d Unrueh, d Unsicherheit i dere Figur füre. Grossartig deräbe der Dimitri vom Otoniel Gonzaga, als Stimm und Person für die Uffüehrig en Idealbsetzig, und pikant ou d Stefania Kaluza als Marina, wo i der Tiefi e ganz eigeti, vulgäri Färbig animmt und dermit der Rolle ihres bsundere Gepräge gibt. Wenn's Schwechine gibt, de i de Näberolle, wo fasch dür ds Band wäg z schwach bsetzt sy. Aber im Ganze hei mer's mit eme musikalisch und inszenatorisch stimmige "Boris" z tüe, wie me ne niene anders cha gseh; mi cha ne mit keire andere Uffüehrig verwächsle, es isch der Basler "Boris", kurzum, en einmaligi Sach.

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