Les Aventures du Roi Pausole. Arthur Honegger.

Jean-Marie Auberson, Alain Marcel. Opéra de Lausanne.

Radio DRS-2, Reflexe, 7. Januar 1991.

 

 

(Musik)

(Wort)

 

Der Dirigent Jean-Marie Auberson verteidigt eine vergessene Partitur. Die Partitur zum "Roi Pausole" findet er ausserordentlich, ja eine wahre Entdeckung.

 

(Wort)

(Musik)

 

Arthur Honegger schrieb die Sache im Alter von 38 Jahren. Er war damals schon berühmt und anerkannt. Es gab von ihm das Oratorium von König David, es gab die famose symphonische Beschreibung einer Dampflokomotive, Pacific 231, und es gab das Stück übers Rugby-Spiel, "Le mouvement symphonique No. 2". Und dann schrieb Honegger die Musik zu den Abenteuern des Königs Pausole. Die Musik zu einer gewagten, sogar schlüpfrigen, aber nicht vulgären Komödie. Bald einmal kam die Behauptung auf, Honegger habe sich nur aus Geldmangel für den "Roi Pausole" prostituiert. Honeggers Tochter aber sieht das anders. Sie erzählt, ihr Vater habe die Partitur geschrieben, weil er Lust und Freude am Werk gehabt habe. Jean-Marie Auberson hat mit ihr gesprochen:

 

(Wort)

 

Jean-Marie Auberson findet die Spuren dieser Freude in der Partitur wieder. Es zeigt sich darin die Vielseitigkeit Honeggers: mit ausserordentlicher Leichtigkeit wechselt er von einem Stil zum andern. Und das alles mit einem kammermusikalisch besetzten Orchester.

 

(Wort)

 

Die Partitur ist für den Dirigenten Jean-Marie Auberson geprägt vom Genie. Arthur Honegger war fähig zur Veränderung. Der Ernst stand ihm zu Gebot, aber auch das Leichte, das Heitere. Honeggers leichten Stil hat man aber vergessen. Im "Roi Pausole" kann man ihn wiederentdecken.

 

(Wort)

(Musik)

 

Nach allem, was wir bis jetzt gehört haben, stellt sich die Frage: Warum hat denn die Welt "Les Aventures du Roi Pausole" vergessen? Warum wird dieses Meisterwerk der leichten Muse nie aufgeführt? Warum spricht man von der "Kleinen Niederdorfoper" und von "Albert Herring", von Paul Burkhart und Benjamin Britten, aber nie von Arthur Honeggers einzigem heiterem Werk? Was klemmt eigentlich?

 

Nun, was da klemmt, ist der Umstand, dass Werk und Musik das hohe Lied der lesbischen Liebe singen. Eine sechzehnjährige Prinzessin aus dem Märchenreich verliebt sich in einen schönen jungen Mann, der in Wirklichkeit eine schöne junge Frau ist. Ein Transvestit also hat das Herz der Prinzessin erobert, und bald erobert er auch ihren Körper. Die Prinzessin aber strahlt vor Glück. So schreibt sie ihrem Vater, dem Roi Pausole:

 

(Wort)

 

Soll man das auf dem Theater zeigen? Darf man Minderjährigen solche abseitigen Lüste wie die lesbische Liebe vorführen? Pfui! Das ist der Grund, warum "Les Aventures du Roi Pausole" in Vergessenheit gerieten, trotz Honeggers genialer Musik. Und der zweite Grund: der Text. Er ist unübersetzbar. Er spielt mit den Mehrdeutigkeiten der französischen Sprache, wie sie das Deutsche z.B. nicht kennt. Auf Französisch kann der Librettist des "Roi Pausole" mit den verschiedenen Nuancen spielen, die das Wort "sein" [frz.] enthält. "Sein" heisst "Busen". "Sain" heisst aber auch "gesund". Und "Saint" heisst schliesslich "heilig". Solche Sprachspiele jetzt in einem geschliffenen Dialog ganz beiläufig zu servieren, ist fürs literarisch gebildete Publikum ein Ohrenkitzel von der feinsten Sorte, ein Leckerbissen der Laszivität, ein pures Vergnügen.

 

(Musik)

 

Es zeigt sich: Bei den "Aventures du Roi Pausole" ist der Text gleich wichtig wie die Musik. Und das macht den Unterschied zur herkömmlichen Operette. Dort geht die Handlung von Gesangsnummer zu Gesangsnummer, von Hit zu Hit. Der Text dient bloss als Verbindung. Je kürzer man ihn fassen kann, desto besser. Beim "Roi Pausole" aber muss man den Text ebenso sorgfältig inszenieren wie die Musiknummern, sagt Regisseur Alain Marcel.

 

(Wort)

 

Ich kenne Alain Marcel als Regisseur seit zehn Jahren. Er wird immer wieder nach Lausanne und Genf eingeladen, um die leichten Werke des Musiktheaters zu inszenieren. Bis zum "Roi Pausole" haben mich seine Produktionen noch nie überzeugt. Sie hatten stets etwas Beliebiges, etwas Unentschiedenes. Diesmal aber ist die Inszenierung charmant, gescheit, überzeugend. Das liegt unter anderem daran, dass Alain Marcel genau weiss, was er will. Es geht nicht um nackte Busen und nackte Hintern, es geht um den Trieb, der die Figuren beherrscht und umtreibt.

 

(Wort)

 

Und so ist denn in Lausanne ein Werk auf die Bühne gebracht worden, das eine echte Wiederentdeckung erlaubt. Text und Komposition sind auf höchstem Niveau, von intelligenten Leuten für intelligente Zuschauer geschrieben. Es braucht Köpfchen, um die Anspielungen zu verstehen. Es braucht Kultur, um die Weite der sexuellen Beziehungen zu goutieren, die im "Roi Pausole" zur Darstellung kommen. Nun aber sterben die intelligenten Zuschauer aus. Das Publikum mit Kultur nimmt ab. Und die Intoleranz, der Fanatismus, nimmt zu. Ich fürchte, der "Roi Pausole" wird sich bis zum Jahr 2000 nicht durchsetzen. Denn die Lust an einer freien Sexualität ist heutzutage gleichbedeutend mit Aids, und Aids ist gleichbedeutend mit Tod. Um so wichtiger denn die Botschaft des Werks für die intelligenten Zuschauer mit Kultur: Das Stück, das vor 60 Jahren entstanden ist, fordert das Publikum auf, die Freiheit zu suchen für Körper und Geist. Diese Freiheit ist die einzige Möglichkeit, nicht vertrottelt ins Grab zu sinken. Der Regisseur Alain Marcel:

 

(Wort)

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