La Vie Parisienne. Jacques Offenbach.

Operette.

Jérôme Savary. Grand Théâtre de Genève.

Radio DRS-2, Reflexe, 12. Dezember 1990

 

 

[Abnahme der Ansage:] Ja, me cha einigi Erwartige ha, aber die Erwartige chöi eim o tüüsche. Uf der andere Syte ghöre settigi Tüüschige sozsäge zur Gschicht u zur Substanz vom Wärk. Nähmet z.B. d Uruffüehrig. Bis zur Generalprob het denn niemer an en Erfolg vor "Vie Parisienne" gwagt z glaube, ussert em Offenbach selber. Im Theater aber het sich unter de Sänger und Darsteller e schwarzi Katastrophestimmig usbreitet, u alls het mit eme gigantische Flop grächnet: "on s'attendait à un bide monumental". D Sängerin vor Pauline het sich gweigeret, e 2. Rock azschaffe, will sie isch sicher gsy, dass d Operette nid über die 3. Vorstellig uschömi. Ar Premiere aber het ds Ganze umgschlage, und "La Vie Parisienne" isch zum triumphale Erfolg worde. D Sängere vor Pauline het ei Rock nach em andere müesse aschaffe, will ds Huus all Abe isch usverkauft gsy, und so het me Abe für Abe gspielt, es voll Jahr lang, gäng vor eme usverkaufte Zueschauerruum.

 

Der Erfolg aber het die pessimistische Erwartige uf d Syte gruumt, und der Offenbach het uf der ganze Linie chönne ne Sieg bueche. Är, wo gäng a sy Musik glaubt het, het recht übercho, und sys Werk isch im Triumph ufgno worde.

 

(Musik)

 

D Musik vom Offenbach also het sich a der Uruffüehrig dürgegsetzt. Anders aber isch es am Libretto gange, wo der Henri Meilhac u der Ludovic Halévy gschriebe hei. Das Libretto wird im französische Sprachruum no hüt unterschätzt. Me fingt's schwach u bhauptet, es tüei nume die einzelne Nummere revueartig anenand hänke. Ja, im Grund gno fingt me, ds Libretto syg nume e Vorwand für d Musik, es handli sich drum um enes Pseudo-Libretto: "un livret prétexte".

 

Das Missverständnis het me paradoxerwys im dütsche Sprachruum sit 70 Jahr uf d Syte gruumt. Und dass me bi üs der Qualität vom Libretto gerecht wird, isch keim gringerem als am Karl Kraus z verdanke. A syne berüehmte Rezitationsabete het är nämlich agfange, "Pariser Leben" vorzläse, und zwar ganz allei. Mit syre enorme Sprachgwalt isch är i alli Rolle gschloffe u het dermit sym Publikum klar gmacht, was alles i dere Operette steckt. Und was für nes Publikum isch das gsy! Der Hermann Broch het derzue ghört. Der Robert Musil. Der Elias Canetti. Dene grosse Lüt isch das Meisterlibretto vom Henri Meilhac u em Ludovic Halévy ufgange.

 

Und es isch ne ou ufgange, wie kritisch d Operette mit der Welt umgeit: I der "Vie Parisienne" isch Paris d Hauptstadt vom Sextourismus. Fremdi Lüt wo's vor Rychtum fasch verjagt, chöme uf Paris, für d Sau abzla. E schwedische Baron, wo unter puritanische Verhältnis ufgwachsen isch, unter der Fuchtle vom ene stränge Vater, wott ändlich nachehole, was er verpasst het. Jetz chunnt är mit der Frau uf Paris u het nume no eis im Gring: d Wyber düreznä.

 

(Musik)

 

Näbem schwedische Baron begegne mir im "Pariser Leben" ou Ufstiger us der 3. Welt. Sie hei d Kolonie usbüttet u wei jetz z Paris ihre Stutz dürela. Der rych Brasilianer isch son es Byspiel. 2 Mal isch är z Paris scho verarmet u 2 Mal het är sech z Brasilie wieder ufegschaffet. Und jetz wott är für dä Krampf wieder uf syni Rechnig cho. So gseht är ds Leben: Me schuftet, für zu Geld z cho, und mit dem Geld kauft me sich orgiastischi Erlebnis.

 

Rych wärde, für Gäld uszgä u ds Läbe z vergesse, das isch d Ideologie, wo "La Vie Parisienne" vorfüehrt.

 

(Musik)

 

Sozialkritik ir "Vie Parisienne". Aber der Henri Meilhac und der Ludovic Halévy zeichne ihri Kritik mit em zartiste Pinsel. Wenn sie zum Byspiel d Herrschafte dürenähme, d Generäl, d Diplomate, d Millionärswitwe, de bringe sie die Figure mit eme geniale Kunstgriff uf d Bühni. Sie löh nämlich die feine Lüt nid sälber ufträtte, sondern löh ihri Diener ufträtte. U die Diener spiele jetz uf der Bühni d Herrschafte. Will niemer kennt d Marotten u d Schwechine vom "beau monde" besser als die Schicht, wo unter dene Marotte lydet. Dadermit aber begegnet der Zueschauer der fynste Kritik. Är gseht, dass d Diener grad so gueti Financiers, Diplomate u Generäl abgä wie d Financiers, d Diplomaten u d Generäl sälber. Ds Problem liegt nume dadrann, dass die einte ds Geld hei u die andere nid.

 

Das also isch d Kritik vom Libretto. Aber immer denn, wenn sie am schärsten isch, schrybt der Offenbach grad die liechtisti u fynsti Musik. Me muess also bi der "Vie Parisienne" ufpasse, dass me nid ynegleit wird u d Dorne tuet überluege.

 

Grad das isch jetz aber am Regisseur vor Genfer Uffüehrig passiert. Der Jérôme Savary isch uf ds Wärk ynegheit, und är het's drum fehlinszeniert. Ds Handicap liegt in erster Linie bim Savary selber. Är isch kei intellektuelle Regisseur, und ds analytische Dürlüüchte vom ene Werk isch nid sy Stärki.

 

Sy Stärki sy Konfetti, Chichi, Champagner, Tralala. U mit Konfetti, Chichi, Champagner und Tralala inszeniert är jetz "La Vie Parisienne". Da zäberle Bunny Girls mit kurze Röck u länge Bei über d Bühni, Grisette tanze Cancan u mache der Spagat, u derzue laht der Savary enormi Dekoratione uffahre, wo mit em Wärk nüt, aber ou gar nüt z tüe hei: So gseh mir z.B. der Triumphboge, und d Trikolore flatteret im Wind. Das gnüegt de scho, für dass es em wälsche Publikum d Händ us em Schoss rysst und 's zum Applaus zwingt.

 

Dir gseht: "La Vie Parisienne" isch e heikli Sach, wo eis Missverständnis ds andere jagt: Da meint me zersch, ds Libretto syg nume es Pseudo-Libretto, "un livret prétexte", e Vorwand für d Musik vom Offenbach. U der Savary wiederume glaubt, "La Vie Parisienne" syg e Pseudo-Operette, e Vorwand, für dass är als Regisseur chönn Gag um Gag abla, ohni sich müesse drum z kümmere, was eigentlich ir Partitur steit.

 

Wenn dihr jetz wettet wüsse, wo eigentlich d Gheimnis vom "Pariser Leben" liege, de wett i nech rate, nid uf Genf z fahre, sondern  d Platte z kaufe u bim Lose ds Libretto Wort für Wort mitzläse. De chöit dihr Entdeckige mache, wo nech ganz nachdenklich zrügg löh.

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