Vier letzte Lieder. Richard Strauss.
Konzertabend.
Jukka-Pekka Saraste, Orchestre de Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. April 2025.
> Gemeinsam an den drei Titeln, die das Orchestre de Paris in der Woche nach Ostern vorträgt, ist ihr ernster Charakter: mal gemessen, mal nostalgisch, mal schmerzlich bewegt. Die moll-Tonart durchzieht die "tragische Ouvertüre" von Johannes Brahms, die "vier letzten Lieder" von Richard Strauss und die Symphonie Nr. 5 von Jean Sibelius. Am Schluss bedankt sich das Publikum in der Philharmonie de Paris zwar artig, aber nicht über die Massen enthusiastisch. <
Der Vater aller Dinge... Von ihrer Entstehungszeit her sind alle drei Titel mit dem Krieg verbunden: Brahms' "tragische Ouvertüre" mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, Sibelius' Symphonie Nr. 5 mit dem Ersten und Strauss' "Vier letzte Lieder" mit dem Zweiten Weltkrieg. Alle drei Werke markieren das Ende einer Epoche, ein "Fin de siècle".
Die "tragische Ouvertüre" durcheilt anfangs ein scharfer Peilstrahl. Links und rechts erscheinen zerklüftete Landschaften. Sie stossen zuerst in eisige Höhen und dann in dunkle Felsschluchten. Im Mittelteil beruhigt sich das Bild. Goldbraune Blätter evozieren Nachsommerwärme. Am Ende mündet der Weg in eine Allee fester, aufrechtstehender Bäume. Als Dirigent achtet Jukka-Pekka Saraste auf die Klarheit der Umrisse und zerlegt das Werk in kompakte Proportionen. Doch mit der Sachlichkeit seiner Darstellung schafft er eine "tragische Ouvertüre" ohne Tragik.
Ähnliches begibt sich in den "vier letzten Liedern". Der alte Strauss hob vier Gedichte (drei von Hesse, eines von Eichendorf) in eine kostbar-eklektische Tonassemblage, gleich wie Gustav Klimt, der Maler seiner Jugend, die zumeist weiblichen Sujets in ein Gewirr farbig schimmernder Kleinformen stellte. Den Silber- und Goldfolien entspricht nun der reiche Sopran von Elsa Dreisig. Der Besetzungszettel vermerkt: "Sie singt mit freundlicher Genehmigung von Erato/Warner Classics".
Elsa Dreisig trägt die Lieder "Herbst", "September", "Beim Schlafengehen" und "Im Abendrot" mit betörendem Wohlklang vor. Ihre Stimme ist wunderbar gemittet, warm und gleichmässig in allen Registern. Im feinen Orchesterklang erglänzt ihr Piano als subtiles Glanzlicht. Das zeigt die Qualität der Instrumentalisten: Begleitung ist nämlich eine Königsdisziplin. Nicht alle beherrschen sie. Das Orchestre de Paris wohl. Das Hornsolo ist zum Einrahmen.
Die Namen Hesse, Eichendorff und Strauss stehen für späte deutsche Romantik. Doch von ihrem Geist ist die Interpretation des 69-jährigen Finnen Jukka-Pekka Saraste nicht affiziert. Nüchtern und gemessen vollzieht er die Schönheiten der Partitur – mehr nicht. Bezeichnenderweise bleibt der Schluss des letzten Lieds bloss ein Diminuendo. Es gleitet in die Stille, nicht aber ins Jenseits.
Zwischen 1914 und 1919 arbeitete Jean Sibelius an seiner fünften Symphonie op. 82. In einem schmerzhaften Schaffensprozess reduzierte er die Zahl der Sätze von vier auf drei. Aber das Resultat befremdet. Weit von Beethoven entfernt, wo schon die Eingangstakte die Aufmerksamkeit auf ein Ziel hin spannen, erscheint im ersten Satz eine Abfolge von Motiven ohne einsichtige Logik. Fin de siècle als Zerfall. In dieser Zeit entwand sich dem Lyriker Georg Trakl der Ruf: "Vielleicht schreiben Sie mir zwei Worte; ich weiss nicht mehr ein und aus. Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht. O mein Gott ..."
Eindrücklich ist die lange Pizzicato-Passage im zweiten Satz, Allegro mosso, quasi allegretto, angeleitet von der Gastkonzertmeisterin Ji Yoon Lee, und das Bläserfinale im dritten Satz, Allegro molto. Zu recht zitiert das Programmheft den finnischen Dirigenten Osmo Vänskä:
Am Ende dieses Werks, das etwas Reinigendes hat, möchte ich immer weinen. Dies nicht so sehr, weil ich von seiner kosmischen Tiefe berührt würde, sondern weil ich mich als kleiner Mensch getröstet und aufgehoben fühle.
In Väsnkäs Sinn schliesst Jukka-Pekka Saraste die Wiedergabe ab: hochkontrolliert, kurz und knapp. Für seinen sachlichen Konzertabend bedankt sich das Publikum zwar artig, aber nicht über die Massen begeistert. Mehr Emphase hätte es aus den Sitzen gehoben.