Le Moche. (Der Hässliche.) Marius von Mayenburg.
Schauspiel.
Aurélien Hamard-Padis, Salma Bordes. Comédie-Française, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. April 2025.
> Modebericht aus Paris: In diesem Frühling geben die jungen Männer den Trend an. Um die Beine tragen sie hellen, weitgeschnittenen, von der Jogginghose abgeleiteten Schlabberstoff. "Cargo" lautet der Name des Modells. Die Tattoos sind kleiner geworden; man trägt sie unterm Ohr oder im Nacken. Die Haare sind bis zur Schädeldecke auf 2 mm gekürzt; oben bilden sie ein Gewirr von kleinen, eng gekräuselten Locken. Der Schnitt heisst "coupe dégradée, bas ou haut". Alle jungen Männer sehen gleich aus und gleichen ihrem Vorbild von PSG. – Vom Problem, kollektiven Schönheitsvorstellungen nachzuleben, handelt auch das Stück von Marius von Mayenburg aus dem Jahr 2007: "Der Hässliche". Die Comédie-Française bringt es unter dem Titel "Le Moche" in diesem Frühling auf die Bühne. <
Eines Tages wird Lette, ein erfolgreicher Erfinder, gewahr, dass er hässlich ist. Niemand hat ihm das bisher gesagt. Erst als er sich anschickt, seine neueste Erfindung auf einem internationalen Kongress vorzustellen, vernimmt er: "Wir haben uns entschieden, Ihren Assistenten hinzuschicken. Mit Ihrem Gesicht lässt sich die Sache nicht verkaufen."
Virtuos setzt Marius von Mayenburg beim "Hässlichen" mit dem Problem ein, wie man mit dem Abstossenden umgeht: "Bei Ihnen riecht man Mundgeruch/Achselschweiss/Alkoholausdünstung!" "Aha. Warum hat mir das noch niemand gesagt?" "Aber mein Lieber, wir dachten alle, das wüssten Sie." "Nein. Aber jetzt muss etwas gehen!"
Rasch und pointenreich entwickelt sich das Gespräch zwischen dem Hässlichen, seinem Chef, seiner Frau und seinem Assistenten. Wie bei jedem Lustspiel, wo ein Ahnungsloser oder ein Betrogener vorkommt (Tartuffe, Le Bourgeois gentilhomme), durchschaut der Zuschauer die Situation besser als die Beteiligten und versteht ihre Motive.
Das komische Gefälle verleiht dem Publikum momentweise gottähnliche Überlegenheit: "Die seligen Götter lachen ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes" (Georg Büchner: Dantons Tod).
In seiner Not entscheidet sich der Hässliche für einen gesichtschirurgischen Eingriff. Das einfache, aber wirkungsvolle Bühnenbild von Salma Bordes verdeckt die Operation durch einen weissen Zwischenvorhang, auf dem sich Gesicht und Hände des Patienten gespenstisch abzeichnen. Aurélien Hamard-Padis inszeniert mit scharfen, komischen Akzenten (1) das Gespräch mit der Ehefrau, (2) das Vorgespräch mit dem Arzt, (3) die Operationsszene und (4) die Entdeckung des neuen Zustands.
Jetzt erblickt der Umgewandelte sein Gesicht. Die Menschen fallen ihm zu Füssen. Das neue Aussehen ermöglicht eine neue Karriere: Nicht mehr Ingenieur, sondern ästhetisches Vorbild. Immer mehr Unzufriedene wollen ihm gleichen. Aber indem sich seine Züge vervielfältigen, werden sie auswechselbar, und das bedeutet: ersetzbar.
Durch diesen Verlauf mutiert das Lust- zum Trauerspiel. Lette, die Hauptfigur, verliert Frau, Job und Geld. Am Ende bereut er den Wandel: "Ich möchte mein altes Gesicht zurück!" "Das geht nicht. Was ich Ihnen weggeschnitten habe, kann ich nicht mehr zurückgeben." – "Betrogen! Betrogen! Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen." (Kafka: Ein Landarzt.)
1 Stunde und 15 Minuten dauert die Aufführung. In dieser Zeit führt das Stück zu einer Vielzahl von Aspekten. Jeder Satz bringt die Handlung weiter, und jedesmal schafft das Vorrücken eine neue Situation. Leider streift das Stück an drei, vier Stellen ans Boulevardeske, und an zwei Stellen frisst es sich fest.
Für die Schauspieler der Comédie-Française ist Mayenburgs Vielschichtigkeit ein Fressen. Sie wechseln souverän von einem Zustand in den andern. Dabei verkörpern Sylvia Bergé, Jordan Rezgui und Thierry Godard gleich mehrere Personen. – Thierry Hancisse, der Doyen, spielt den Hässlichen. Sein gutartiges Herz macht ihn zum Opfer der Lebensgewandten, Gierigen und Machtbewussten. Niemand kann sagen: "Recht geschieht ihm!" Dadurch wird seine Geschichte traurig.
In der Studiobühne der Comédie-Française ist die hintere Hälfte des Zuschauerraums für Schüler reserviert. Die Zuschauer in der vorderen Hälfte merken nichts von ihrem Hereinkommen und nichts von ihrer Anwesenheit. Still verfolgen alle, wie "Der Hässliche" die jungen Menschen in Cargohosen und eng gekräuselten, kurzen Locken mit den Themen der Existenz konfrontiert: Wie schau' ich aus? Wer bin ich? Und wenn ja: Wie viele?
Das Stück ist zuende. Alle verlassen den Saal und treten in die Wirklichkeit. Aber dort geht die Vorstellung weiter:
Wir spielen immer, wer es weiss, ist klug.
(Arthur Schnitzler: Paracelsus.)
Das Fatale entgegennehmen.
Remedur schaffen.
Das neue Leben geniesen.