Liliom. Ferenc Molnár.
Schauspiel.
Philipp Stölzl, Michael Hofer, Ingo Ludwig Frenzel. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 13. März 2025.
> Wie haben die das nur gemacht? Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren hängt "Liliom" an keiner Stelle durch. Natürlich bringt's die Qualität des Ensembles. Es ist so stark, dass jeder Moment interessant ausfällt: dicht, intensiv, wesentlich. Doch hinter dem Ganzen steckt noch etwas anderes: Fabelhaftes Gefühl fürs Detail. Wie bei einer Grande Complication wirken Licht, Dekor, Klang, Spiel und Handlung dermassen ingeniös zusammen, dass die Kunst der Feinregulierung eine Vorstellung der Extraklasse herbeiführt. <
Selten noch war das Licht so fein orchestriert. Man möchte meinen, Ravel habe die Partitur geschrieben. Aber sie stammt von Michael Hofer. Der Beleuchtungskünstler malt das bewegliche Spiel der Wolken mit subtilem Pinsel auf die obere Bühnenhälfte. Auf der unteren Hälfte zeigen impressionistische Flächen eine Böschung mit zähen Grashalmen, groben Erdbuckeln und gewundenen Trampelpfaden. Allmählich nimmt man wahr, dass da eine Gestalt liegt: Es ist der tote Liliom. Er befand sich immer unten. Auch als er noch lebte.
Zwei schwarze Wesen bewegen sich zu ihm hin. Das ältere stellt sich auf die Seite, das jüngere bückt sich über den Körper. Die Flügel rascheln leise. Im stummen Auftritt der Todesengel zeigt sich bereits die Kunst der Feinregulierung. Sie liegt in der Bemessung der Zeit, in der Führung der Körper, in der Subtilität der Lichtstrahlen und im Klang der Luft (Musik: Ingo Ludwig Frenzel). Liliom soll Rechenschaft über sein Leben ablegen. Er beendete es damit, dass er sich ein Messer in den Bauch stiess. Jetzt richtet er sich unwillig auf: Er möchte seine Ruhe haben.
Gleich mit ihrem ersten Laut ruft Stephanie Reinsperger die saftige Gestalt des Ringelspiel-Angestellten herbei. Die atmosphäredichte Neuübersetzung von Terézia Mora passt ihr gut in den Mund. Und schon ist Liliom da, wie er immer war: Brutal und hilflos; geradeheraus und zart; unkultiviert, aber instinktreich. Die Mischung macht ihn faszinierend. Denn: "Ein Mensch ohne Fehler ist kein vollkommener Mensch", statuierte Alfred Polgar. Demzufolge sprechen ihn die Engel nun kopfschüttelnd mit "Mensch!" an.
In der Interaktion mit Lilom zeigen die Frauen fein abgestufte Verhaltensweisen. Franziska Hackl als Frau Muskat changiert zwischen Chefin und Werbender, Verführender und Unterworfener. Maresi Riegner als Marie wandelt sich vom unbestimmten kleinen Ding zum gehärteten und wohl auch harten Charakter. Zeynep Buyraç hat als Marie beide Beine auf dem Boden – doch dazu bemerkte Nicolás Gómez Dávila: "Das Leben realistisch anzugehen, setzt eine gewisse Niedrigkeit der Seele voraus." Beeindruckend schliesslich Fabia Matuschek als 18-jährige Luisa: Als Studierende der MUK Schauspiel verwirklicht sie bereits das volle Burgtheaterniveau.
Die Männer sind starrer. Stefko Hanushewski als Hugo, Sebastian Wendelin als Stutzer, Robert Reinagl als Kassierer, Norman Hacker und Tilman Tuppy als Engel haben im Stück nur eine Facette zu zeigen. Doch sie treffen ihre Typen mit beeindruckender Stimmigkeit.
Das ganze Spiel wird reguliert von Philipp Stölzl, der auch fürs Bühnenbild zeichnet. Seine Kunst erweist sich daran, dass "Liliom" an keiner Stelle durchhängt. Dafür braucht es Aufmerksamkeit für das spezifische Gewicht jedes Bühnenmoments und die Klugheit, die Gewichte so sachte zu verschieben, dass die Schalen der Waage immer voll erscheinen. So mischt Philipp Stölzl den Klang der Stimmen, die Intensität der Gefühle, den Ausdruck des Lichts und der Töne, als sitze er an der Orgel des Stephansdoms mit ihren 130 Registern und spiele eine Komposition von César Franck anstelle von Ferenc Molnár.
Tod.
Auferstehung.