Das Unheil beginn. © Monika Rittershaus.

 
 

 

Ellen Babic. Marius von Mayenburg.

Schauspiel.

Thomas Jonigk, Lisa Dässler. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 13. März 2025.

 

> Mit seiner Technik der spannenden Stücke führt Marius von Mayenburg in "Ellen Babic" zu den entzündeten Punkten des Hier und Jetzt. Dabei steigert er das Drama von Wendung zu Wendung. Währenddem ist es im Akademietheater Wien fast zwei Stunden lang mäuschenstill; und am Ende landen Zuschauer und Figuren im Ungewissen. <

 

Dreipersonenstücke verlangen "neben einer Messerspitze Genie vor allem eine grosszügige Prise Routine und Schreiberfahrung" (Hilmar Klute über "Das Streiflicht" in der "Süddeutschen Zeitung"). Die Personen müssen etwas hergeben. Dazu sind nicht flache, sondern problematische Charaktere gefragt. Wenn sie miteinander in Dialog treten, müssen die Sätze orientieren über bestehende, dem Publikum aber noch nicht bekannte Tatsachen, und gleichzeitig die Umrisse einer kommenden Gefahr aufziehen lassen.

 

In der Regel verkörpern zwei Personen das Bestehende, und die dritte, hinzutretende, bringt die Gefahr. Bei "Ellen Babic" führt nun die "Messerspitze Genie" dazu, dass hinter allen drei Personen ein Problemknäuel zur Erscheinung kommt. Es ist nicht aufzulösen ... solange die Beteiligten einander nicht vergeben. Doch je nach Thema bleibt ihnen das versagt. Damit führt "Ellen Babic" in die Aporie. Ein beklemmendes Abbild der Weltlage.

 

Inhaltlich bewegt sich das Stück im Umfeld der Schule, konkret: der zehnten Klasse eines Gymnasiums. Da fühlt sich jeder gleich zuhause. Doch nun kommt's: Auf der Klassenfahrt soll die Englischlehrerin eine betrunkene Schülerin missbraucht haben, behauptet der Vater. Das angebliche Opfer heisst Ellen Babic. Es steht im Alter, in dem sich die Partnerin befand, als sie, 17 Jahre früher, die Beziehung mit der lesbischen Lehrerin einging. "Zeigt sich da ein Muster?", fragt der Direktor des Gymnasiums.

 

Damit führt das Stück in eine Reihe von Gegenwartsthemen: Kulturunterschiede, Dominanz, Toleranz, Freizügigkeit der Jugend, Drogen, Sexual harassment, LGBTQIA+. Niemand im Saal kann sich dazu neutral verhalten. Doch um zu urteilen, braucht es Wissen. Es bildet sich aus dem, was die Figuren sagen. Je weiter indes die Handlung vorschreitet, desto deutlicher tritt zutage, dass die Beteiligten Verschiedenes für sich behalten und stets ein bisschen gelogen haben. Das Verheimlichte macht nun die Dialoge mehrbödig. Gleichzeitig bewegen sie sich in der Alltagssphäre. Die Mischung befeuert das Publikumsinteresse. Ibsen war darin Meister. Mayenburg ist sein Erbe.

 

Mäuschenstill achtet das Publikum im Akademietheater auf jedes Wort, bekommt aber nicht jedes Wort mit. Maresi Riegner spricht oft zu leise und zu schnell. Dörte Lyssewskis Stimme ist verschlissen, Jörg Ratjens Diktion eine Spur zu blass. So erschwert der zurückgenommene Alltagduktus das Verständnis.

 

Durch leichte Inkohärenzen, die von Lisa Dässlers Bühnenbild unterstützt werden, sucht Regisseur Thomas Jonigk, die Handlung aus dem simplen Bühnenrealismus zu heben. Am Ende führt "Ellen Babic" nicht mehr zur Erkenntnis, wie es wirklich war, sondern zum Fazit, dass man Beteuerungen nicht glauben kann. Ein beklemmendes Abbild der Weltlage.

Der einsame Direktor. 

Das lesbische Paar. 

Die Verrufene. 

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