Der Testosteronheld: Jungfräulich rein. © Tommy Hetzel.

 
 

 

Peer Gynt. Henrik Ibsen.

Schauspiel.

Thorleyfur Örn Anarsson, Daniel Angermayr, Gabriel Cazes, Paul Eisemann. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 13. März 2025.

 

> Peer Gynt ist mit einer Frau besetzt. Warum? "Genderunsinn", würde eine konservative Kritik antworten. "Zeitgeist", eine liberale. "Tiefenpsychologie", eine gebildete. "Gerechtigkeit", eine feministische. Wie auch immer: In der ungewohnten Beleuchtung erscheint Henrik Ibsens eroberungshungriger Testosteronheld wider Erwarten jungfräulich rein. Die Unschuld stellt den "nordischen Faust" in ein neues Licht. Henrik Ibsens Bilderbogen, der von der Fjordeinsamkeit in die volkreiche kapitalistische und kolonialistische Zivilisation führt, wird zu einem schwerlosen Traum: nicht mehr Kritik, sondern Wunder. <

 

Premiere war vor einem Jahr, im März 2024. Der neue Direktor der Burg, Stefan Bachmann, verpflanzte die Produktion seines Vorgängers Martin Kušej vom Schwarzenbergplatz gleich ins Akademietheater. Dort läuft sie jetzt seit sechs Monaten vor vollem Haus. Die neuen Verhältnisse sind für die zarte Mavie Hörbiger fast zu gross, was Stimme und Artikulationskraft angeht. Doch das hindert nicht, dass sie mit ihren Bewegungen und Reaktionen so heutig wirkt, dass der neue "Peer Gynt" in die Zeitlosigkeit von "Alice im Wunderland" reicht.

 

Den beschränkten Verhältnissen des Kasinos zufolge wird die Phantasie des Zuschauers im Akademietheater nicht durch ein gebautes und realistisches Bühnenbild beschwert. Gabriel Cazes, der sich an Edvard Griegs Motiven inspiriert, schafft im leeren Raum am Klavier eine gleitende Atmosphäre, und Paul Eisemanns fabelhaft zurückgenommene Beleuchtung führt immer wieder, stückadäquat, zur Frage: "Sehe ich recht?"

 

Diese Frage weckt auch das Spiel der Verwandlungsdarsteller Lilith Hässle, Johannes Zirner und Nils Strunk. In der wundervoll improvisierten Ausstattung von Daniel Angermayr erscheinen die Trolle, Unternehmer und Verrückten gleichermassen phantastisch. Regisseur Thorleyfur Örn Anarsson zieht mit ihnen die Handlung in die Rätselhaftkeit der Archetypen und bringt den "nordischen Faust" nicht nur szenisch, sondern auch konzeptionell ins Zwielicht.

 

Im Hintergrund hängt ein riesenhaftes Bild der Mutter. Als die Erfindung von Geschichten den einzigen Weg aus der materiellen Armut bot, hatte Ase die Vorstellungen des kleinen Peer mit Märchen genährt und dadurch seinen Blick auf die Welt bestimmt. Jetzt stellt sich die Frage, ob hinter Peers virilem Dominanzstreben nicht eine tiefe Mutterbindung steckt:

 

Ich bin nur durch die Welt gerannt;

Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

Was nicht genügte, liess ich fahren,

Was mir entwischte, liess ich ziehn.

Ich habe nur begehrt und nur vollbracht.

Und abermals gewünscht und so mit Macht

Mein Leben durchgestürmt ...

(Goethe: Faust)

 

Oder ist Peer Gynts Lebensgang etwa als Fabulation einer alten sterbenden Frau aufzufassen, die sich nach dem verschwundenen emanzipierten Sohn sehnt? So oder so: Das riesenhafte Mutterbild, unter dem sich die ganze Handlung vollzieht, wird auf der Szene lebendig durch die 80-jährige Barbara Petritsch. Wenn sie spricht, steigert sich die Stille im Akademietheater zu Ergriffenheit. So viel vermag die Kunst einer grossen Schauspielerin.

Wundervoll ... 

... improvisierte ... 

... Ausstattung. 

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