Rigoletto. Giuseppe Verdi.
Melodramma.
Artem Lonhinov, David Bösch, Magda Willi, Jonas Bühler. Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 24. Februar 2025.
> Eigentlich müsste man sich langweilen. Auf der Bühne passiert zu wenig – und wenn ja, dann das Falsche. Immer wieder zieht der Kritiker die Luft zwischen den Zähnen ein. Unangenehm findet er auch, dass das Berner Symphonieorchester viel zu laut und viel zu pauschal spielt. Wohin haben sich die Sorgfalt, wohin der Esprit in den Begleitfiguren verloren? Und dann ... vergeht die Zeit trotzdem wie im Flug. So viel vermag Verdis Pranke. Das Werk ist dermassen stark, dass es sich selbst bei uninspiriertem Betrieb durchsetzt. Wobei ihm die Sänger gewaltig helfen. Spielend erringen Rigoletto, Gilda, der Herzog und Sparafucile Respekt. Mille grazie! <
Am Donnerstag, den 6. April 2023 verbeugte sich David Bösch an der Premiere von "Rigoletto" in der Oper Göteborg. Am Sonntag, den 23. Februar 2025 haben die Bühnen Bern angefangen, seine Inszenierung nachzuspielen. Doch der Regisseur blieb der Premiere fern. Auch von Regie war nichts wahrzunehmen. Beim Schlussapplaus zeigte sich lediglich Georgine Balk. Die Besetzungsliste schreibt ihr die "szenische Einstudierung" zu. Dem Resultat nach zu urteilen, bestand die Tätigkeit darin, das Personal zu "stellen", wie es in der Bühnensprache heisst; mithin den Leuten zu sagen, wo sie zu stehen und wohin sie zu gehen hatten. Der Geist aber, den das Regiekonzept darüber hinaus allenfalls noch enthalten haben mochte, ist in den vergangenen beiden Jahren evaporiert.
Das Manko zeigt sich daran, dass die Interaktionen in Bern unbelebt sind. Vom Saal aus ist nicht ersichtlich, was zwischen den Darstellern läuft. Sie bringen nicht zum Ausdruck, welche Motive sie in welchem Moment bewegen. Wacker singen sie vor sich hin, haben einander aber nichts zu sagen.
Unmotiviert sind auch die Bewegungen des Chors: Auf Knopfdruck erscheint er auf der Bühne; auf Knopfdruck tritt er wieder ab. Er kommt ins Blickfeld, wenn die Partitur seine Stimmen verlangt. Wenn die Musik sie nicht mehr braucht, schafft sie das Stellkonzept beiseite.
Übers Ganze gesehen ist also keine Figur in einen Zusammenhang, eine Geschichte, eine Welt eingebunden. Alle Handlungen wirken zufällig und aussageleer. Darüber kann auch das Goldlametta nicht hinwegtäuschen, das im Moment bei den Bühnen Bern Konjunktur hat. Es wird nicht nur bei "Rigoletto" zum Niederrieseln in die Luft geworfen, sondern auch bei "Graf Öderland" und dem "Revisor". Feinmotivierung sieht anders aus.
Gesungen wird auf einer leeren, neutralen Spielfläche (Bühne Magda Willi). Ein Dutzend am Rand des Karrees gleichmässig verteilte Leuchtröhren, die nach einem geheimnisvollen, jedoch nicht einsichtigen Konzept gruppenweise aufglühen und wieder erlöschen (Lichtdesign Jonas Bühler), schaffen momentweise etwas, das von weitem her an "Stimmungslicht" erinnert, doch läuft ihr "Design" recht autonom neben der Handlung her. Mit dem Verzicht auf ein Bühnenbild fällt jede Atmosphäre weg.
Auch das Orchester, geleitet von Artem Lonhinov, ist bei der Produktion nur "dabei", nicht aber "drin", das heisst: nicht eingebunden in einen Erzählfluss. Es deckt die Sänger zwar nie zu, tritt ihnen aber häufig so bedrohlich nahe, dass sie den Schallschwall nur mit Lautstärke abwehren können. Gediegenes Musizieren sieht anders aus.
Abgesehen davon vertragen die verhältnismässig intimen Dimensionen des Berner Stadttheaters kein dreifaches Forte. Das Haus rächt sich damit, dass es den Orchesterklang zu Mus zermanscht. Chefdirigent Nicholas Carter berücksichtigt in seinen Interpretationen diese akustischen Verhältnisse. Operndirektion und Kapellmeister sollten sich an ihm das Vorbild nehmen.
Nun stehen die Sänger allein da. Aber sie können es auch. Allen voran Aluda Todua als Rigoletto. Sein mächtiger Bariton signalisiert in jedem Moment: "Hier bin ich!", ist aber auch weicher, inniger Töne fähig. Patricia Westleys lyrischer Sopran, der sich im oberen Bereich durch leichte Höhe und im mittleren durch Wärme auszeichnet, gibt Gildas Unschuld und erwachende Liebesglut rollenadäquat wieder. Bei Ian Matthew Castro ist der Herzog von Mantua kein Schmettertenor, sondern ein wurzelloser, verlorener, bemitleidenswerter Junge. Eine interessante Interpretation. Zu ihr passt, dass auch William Meinerts Auftragsmörder eher Spitzbub als Schurke ist. Sobald er seinen schwarzen Bass mit nachlässiger Eleganz spazierenführt, erliegt man ihm.
Alles in allem setzt sich Giuseppe Verdis "Rigoletto" mit diesem Sängerensemble beeindruckend durch. Er hat halt schon was können, "der Bauer von Roncole", wie er sich selbst gerne nannte. Sogar in der Uphill-Battle am Berner Kornhausplatz erringt sein Klassiker glänzend den Lorbeer.
Eine Aufstellung von ...
... Leuchtröhren ...
... ums Karree.