Macbeth. Giuseppe Verdi.
Melodramma.
Franco Trinca, Yves Leinoir, Bruno de Lavenère, Jean-Jacques Delmotte. Theater Orchester Biel Solothurn.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 22. Februar 2025.
> Die Produktion tourt mit 17 geplanten Vorstellungen von Biel über Solothurn, Burgdorf und Olten bis nach Schaffhausen und Visp. Der Macbeth der Premiere, Leonardo Galeazzi, ist so gut, dass es sich lohnt, seinetwegen die Oper anzusetzen. Mit dem Publikumsliebling Michele Govi als Zweitbesetzung wird die Qualität nicht zurückfallen; zumal sich das Sinfonieorchester Biel Solothurn auch bedenkenlos vor jedem Publikum hören lassen kann. Wer aber Oper nicht nur mit den Ohren aufnimmt, braucht angesichts der Weltlage eine Triggerwarnung. Die Botschaft nämlich, dass der Teufel die Hand im Spiel der Mächtigen habe und dass die Geschichte eine Kette von Morden sei, wirkt angesichts der Greuel in Ost und West niederschmetternd. Kein Wunder, ist es in der abergläubischen Welt der Bühne verpönt, den Titel der Tragödie auszusprechen. "Macbeth" heisst einfach: "Das Stück, das man nicht nennt". <
Der Bereich des Irrsinns befindet sich gleich nebenan. Er ist bunt. Er ist bewegt. Er ist bedrohlich. Abgrenzungen respektiert er nicht. Die Frauen tragen Bärte, die Männer Brüste. Sie stellen sich hinter durchsichtigen Plastikvorhängen auf (Bühne Bruno de Lavenère). Dann überschreiten sie die Grenze, dringen in die Sphäre der Vollsinnigen ein und bringen sie vom Weg ab.
Die Geister (bei Verdi: "streghe", Hexen) sprechen den geheimen Wunsch aus: "Warum sollte nicht ich, Macbeth, der König sein? Ich bin so gut wie er, sogar besser." Lady Macbeth unterstützt den Ehrgeiz: "Ja, recht hast du! Es braucht nur einen leichten Schubs. Dann ist der Alte weg, und wir sind König!" Auf dem Weg nach oben ruft ein Mord den nächsten hervor.
Machiavelli für Kids.
Wenn Du eine Gegend erobern willst, bring nicht nur den Boss um, sondern auch all seine Kinder! (Claudia Hart)
Das Ehepaar Macbeth kommt sich zwar bei seinem Aufstieg schlau vor – doch mit einem Faktor rechnet es nicht: der Macht des Gewissens. Es vernichtet den Erfolg.
Macbeth kann die Erscheinung des ermordeten Königs nicht vor den Augen wegscheuchen. Und Lady Macbeth sieht ihre Hände unauslöschlich von Blut befleckt. Die beiden Führungspersonen driften in den Wahnsinn. Die Verhältnisse kommen erst wieder ins Lot, nachdem Macbeth beseitigt wurde. Tyrannenmord als Ordnungsfaktor.
Am Schluss der Oper singt Malcolm, der neue König:
Schottland, glaub an mich!
Der Tyrann ist beseitigt!
Ich werde die Freude
Über einen solchen Sieg
Ewig dauern lassen.
Ist damit alles gut? Regisseur Yves Lenoir lässt "das Stück, das man nicht nennt" in Nachtschwärze verglühen.
Übers Ganze gesehen, schafft die Inszenierung den Gegensatz Mann–Frau hervor. Die Männer töten, die Frauen gebären. Und der Nachwuchs sichert das Weiterleben der Macht. Die Kinderstatisten auf der Bühne erinnern an die Trump-Family, die den aktuellen amerikanischen Präsidenten bei der Amtseinsetzung umgab; sie erinnern an die kleinen Begleiter von Vizepräsident Vance beim Verlassen des Flugzeugs für die Sicherheitskonferenz in München; und sie erinnern an den vierjährigen Sohn auf den Schultern von Elon Musk an der letztwöchigen Pressekonferenz im Oval Office.
Als Gegenstück zum "Penisneid des Weibes", den Sigmund Freud aussprach, formuliert die Aufführung von Theater Orchester Biel Solothurn den Gebärneid des Mannes. Der Mann kann Leben nur vernichten, nicht aber, wie die Frau, hervorbringen. Der vollkommene Mann muss deshalb auch Frau sein. In diesem Punkt liegt das Ziel des Transhumanismus (jener Ideologie, der Elon Musk huldigt). Demzufolge tragen jetzt die "Eroberer" in "Macbeth" Frauenröcke. Ihre Gestelle suggerieren breite Hüften – analog zu den Peniskapseln der Landsknechte, die mächtige Zeugungsglieder anzeigten (Kostüme: Jean-Jacques Delmotte).
Damit bezeichnet die Inszenierung die Tragödie des sterilen Ehepaars als Auslöser des Dramas. Auf der Bühne werden Kinderleichen ausgebreitet. Lady Macbeth zerdrückt im Schmerz über ihre Unfruchtbarkeit ein rohes Ei in der Faust. Sie verbirgt sich in einem schwarzen Kühlschrank von Sarggrösse, der auf englisch und französisch bezeichnenderweise den Namen Frigidair trägt.
In der wundervollen Akustik von Nebia kann das Sinfonieorchester Biel Solothurn unter der Leitung von Franco Trinca die Schärfen der Partitur glanzvoll ausspielen. Gleichwohl deckt es die Sänger nie zu. Das Forte ist mächtig, aber nicht zu laut. Das Piano hat kammermusikalische Intimität. Die Partien der Bläser und des Schlagwerks sind eine Wucht – und eine Wonne.
Die Sängerleistungen sind ihrem Umfang entsprechend abgestuft. Die kleinen Rollen tönen zumeist ordentlich, fallen aber nicht durch übermässige Qualität auf. Als Lady Macbeth zeigt Serenad Uyar an der Premiere anfänglich verschiedene Intonations- und Registerschwierigkeiten. Nach der Pause aber bringt sie für die "Gran scena del somnambulismo" (die grosse Schlafwandlerszene) in Bezug auf Farbe, Dynamik, Ausdruck und Klangschönheit die volle Leistung – ein gutes Vorzeichen für die Folgevorstellungen.
Die Doppelbesetzung der Titelrolle mit Leonardo Galeazzi und Michele Govi bringt zwei Sänger, die sich gegenseitig ergänzen: Galeazzi ist stimmlich mächtiger, Govi spielerisch wendiger. Beide haben somit ihr Plus, aber auch ihr Minus. Je nachdem, in welcher Vorstellung man sitzt, wird man das eine geniessen und das andere vermissen, in beiden Fällen aber einer respektablen, guten Leistung beiwohnen. Der Chor, an der Premiere noch inhomogen und nicht immer taktfest, wird sich steigern. Es dürfte sich folglich lohnen, am 8. Mai für die Derniere ins Podium Düdingen zu reisen. Aber Achtung: Neunzig Prozent der Plätze sind schon weg!
Unfruchtbarkeit der Frau.
Gebärneid des Mannes.
Leiche des Kindes.